Dienstag, 14. April 2009

„Terroism is useful as a start. But then, the people themselves must act“

Ein Beitrag von Dr. German Penzholz, Augsburg

„La battaglia di Algeri“ (Schlacht um Algier) – I/Alg 1966
Italien/Algerien, 1966, 121 min. – Regie: Gillo Pontecorvo – Drehbuch: Franco Solinas, Gillo Pontecorvo – Produzent: Antonio Musu, Saadi Yacef – Musik: Ennio Morricone, Gillo Pontecorvo – Kamera: Marcello Gatti – Schnitt: Mario Morra, Mario Serandei.
Darsteller: Brahim Haggiag, Jean Martin, Saadi Yacef, Ugo Paletti, Fusia El Kader.

Der politische Führer der algerischen Front de Libération Nationale (FLN), Larba Ben M´hidi, und der junge Kämpfer Ali la Pointe stehen gemeinsam auf der Dachterrasse eines „sicheren Hauses“ in der Kasbah – dem Altstadtviertel Algiers (Bilder)–und diskutieren ihre weitere Strategie. Außerhalb haben die französischen Truppen das Viertel nach zahlreichen Überfällen und Bombenattentaten der FLN auf die Polizei und auf französische Bürger abgeriegelt. Ben M´hidi zügelt den Tatendrang La Pointes, der weitere Anschläge verüben will, und weist auf die Komplexität eines Unabhängigkeitskampfes hin, an dem zwar am Beginn der Terrorismus stehe, der zu einem bewaffneten Aufstand, einer Revolution und dem Ende des Kolonialregimes führe. Dies sei aber erst der Anfang. Der schwierigste Teil käme nach dem Kampf mit dem Aufbau einer eigenen unabhängigen Gesellschaft.
Neben einer Anleitung zum Bombenbau und -einsatz, zur Ausführung von Feuerüberfällen und Hinterhalten – einem Leitfaden für den „Urban Warfare“ –, lieferte damit der Film auch einen ideologischen und politischen Grundriss für den Kampf gegen die „westlichen Imperialsysteme“. Dieser politische Hintergrund ließ „Schlacht um Algier“ zu einem Kultfilm in den ehemaligen Kolonien und für die westlichen „68er-Bewegungen“ werden. Die realistischen Szenen des Häuser- und Straßenkampfes machten ihn zugleich zum Lehrmaterial der „Black Panther“, der „Irish-Republican-Army“ (IRA), arabischer Terrorgruppen und sogar des Pentagon.
Eine Reduzierung des Films auf seine politischen Inhalte würde ihm aber nicht gerecht. „Schlacht um Algier“ ist ein Gesamtkunstwerk, in dem sich die Musik Ennio Morricones (Homepage), eine revolutionäre Kameraführung und die kompromisslose Regiearbeit Gillo Pontecorvos erfolgreich verbanden. Mit der Verleihung des „Goldenen Löwen“ bei den Filmfestspielen in Venedig 1966 für den besten Film erhielten der Film und sein Regisseur die gebührende Anerkennung.
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Gillo Pontecorvo wurde am 19. November 1919 in Pisa als Sohn eines jüdischen Kaufmanns geboren. Während des Zweiten Weltkriegs war er in einer kommunistischen Jugendgruppe im Widerstand gegen die deutschen Besatzungstruppen. Pontecorvo studierte zunächst Chemie um dann aber ab 1951 als Assistent bei dem französischen Regisseur Yves Allegret (u.a. Episode „La Luxure“ in: Die Sieben Todsünden/Les Sept Péchés Capitaux – 1952; Germinal – 1963) in Paris zu arbeiten. Nach der Produktion einiger Dokumentarfilme folgte 1957 sein erster Spielfilm „La grande strada azzura“. Internationale Aufmerksamkeit erregte er 1960 mit dem Film „Kapò“, der für den Oscar als bester ausländischer Film nominiert wurde. Nach „La battaglia di Algeri” (1966) folgten noch zwei weitere Spielfilme: „Queimada“ (1969) mit Marlon Brando und „Ogro“ (1979), sowie mehrere Dokumentarfilme. Von 1992 bis 1996 war er Direktor der Filmfestspiele in Venedig. Pontecorvo starb am 12. Oktober 2006 in Rom.
Der Erfolg Pontecorvos wurzelte in seiner Regiearbeit. Sein Schaffensprinzip war die „dittatura della verità“ (Diktatur der Wahrheit), welche eine präzise, unparteiische, auch schonungslose Darstellung der Filminhalte verlangte. Der Regisseur stand damit ähnlich wie Roberto Rossellinis „Rom, offene Stadt“ (1944) in der Tradition des neorealistischen Kinos Italiens. Ist aber „La battaglia di Algeri” tatsächlich unparteiisch?
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Der Algerische Unabhängigkeitskrieg von 1954-1962 steht in der Reihe antikolonialer Bewegungen, welche nach dem Zweiten Weltkrieg zum Zusammenbruch der europäischen Kolonialreiche führte. Dass er in Algerien jedoch derart blutig und erbittert geführt wurde, lag an einem fundamentalen Unterschied Algeriens im Vergleich zu den eigentlichen französischen Kolonien. Der Norden des heutigen Algeriens war keine Kolonie, sondern staatsrechtlich Teil des französischen Mutterlandes. Auch lebten im Norden knapp eine Million französische Siedler (pieds-noirs), denen – im gesamten Algerien – zehnmal so viele arabische Algerier gegenüberstanden. Es ging somit für Frankreich bei der Algerienfrage nicht um die Aufgabe einer afrikanischen Kolonie oder Indochinas, sondern um die Preisgabe eigenen Staatsgebietes, eines integralen Teils der France une et indivisible.

1830 hatten die Franzosen den Norden Algeriens besetzt; 1848 wurde das Gebiet ein Teil des französischen Mutterlandes. Vor allem nach dem Verlust Elsass-Lothringens im Deutsch-französischen Krieg 1870/71 suchte man von Seiten der französischen Regierung die Besiedlung Algeriens mit Franzosen voranzutreiben. Doch die Siedlungsbereitschaft blieb in Frankreich gering. Anders als noch im 19. Jahrhundert vorausgesagt, nahm währenddessen die arabische Bevölkerung nicht weiter ab, sondern explodierte geradezu. In der gesamten Kolonialzeit Algeriens hatte es immer wieder Aufstände gegen die Franzosen gegeben. Der Widerstand gegen die Kolonialherrschaft nahm aufgrund der ausbleibenden Gleichstellung vor allem nach dem Zweiten Weltkrieg, im Kontext der allgemeinen Dekolonisierung einerseits und der arabischen und nordafrikanischen Nationalstaatsgründungen immer weiter zu. 1954 begann die FLN um den späteren Ministerpräsidenten und StaatspräsidentenM. A. Ben Balla schließlich den eigentlichen Aufstand – zunächst in der Hauptstadt Algier – der in der offiziellen Lesart weder ein „Krieg“ noch eine „Revolution“ sein durfte, sondern eine innerstaatliche Befriedungsmission: Die offizielle französische Bezeichnung „évènements d’Algérie“ wurde erst 1999 aufgegeben. Erst in den vergangenen zehn Jahren ist die Diskussion in Frankreich wieder aufgebrochen, als etwa General Jacques Massu (frz.) systematische Folter in Algerien bestätigte, bedauerte und zugleich relativierte, und als 2001 ein anderer hochrangiger General, Paul Aussaresses, in einem Buch nicht nur seine eigene Verwicklung an der Folter thematisierte sondern auch bestätigte, dass die französische Regierung damals dieses Vorgehen verlangt und gedeckt habe.
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Auch der Film beginnt zu diesem Zeitpunkt. In seiner Anfangseinstellung führt er die urbane „Frontstellung“ des Jahres 1954 in der algerischen Hauptstadt vor Augen. Die ersten Kameraeinstellungen zeigen dem Zuschauer aus der Vogelperspektive zunächst das moderne, weiträumig gebaute Europäische Viertel (Foto) am Hafen, um begleitet von dem im weiteren Verlauf des Films immer wieder zu hörenden emotionslosen Off-Kommentar des Nachrichtensprechers – eine weitere Referenz auf den gewollt dokumentarischen Charakter des Films – auf das alte, enge an den Hängen liegende arabische Viertel, die Kasbah (Foto), überzuschwenken.
Die Lebensumstände der arabischen Bevölkerung waren deutlich schlechter als jene der Europäer. Wohnraum, Arbeitsplätze, Sanitäre Einrichtungen, medizinische Betreuung und Bildung; in all diesen Punkten herrschte zwischen den pieds-noirs – den französischen Bewohnern Algeriens – und den Arabern ein deutlicher Unterschied. Skizzenhaft porträtiert Pontecorvo diesen Unterschied in der nächsten Einstellung in der Person der Hauptfigur. Der spätere Freiheitskämpfer Ali La Pointe (eindringlich gespielt von Brahim Haggiag) wird gezeigt, wie er als Trickbetrüger versucht Geld von französischstämmigen Passanten zu ergattern. Die Off-Stimme liefert eine kurze Beschreibung des jungen Algeriers: Analphabet, Gelegenheitsarbeiter, Kleinkrimineller. Tatsächlich war der reale FLN-KämpferAli Ammar, alias Ali La Pointe, vor seiner Politisierung ein, wie sein Gefährte Saadi Yacef bestätigte, Betrüger, Taschendieb und Zuhälter gewesen.
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Doch die vermeintliche Ehrlichkeit des Films trügt. Der Film will die Wahrheit erzählen, aber er ist nicht kritisch. Er dämonisiert zwar die Franzosen nicht – eine Grundhaltung des Regisseurs und des Drehbuchschreibers, welche von allen Kritikern hoch gelobt wurde. Er ist aber auch nicht neutral. Klar bezieht er Stellung für den neuen jungen Staat Algerien. Er glorifiziert zwar nicht den Kampf, jedoch das Ergebnis: die unter Opfern gewonnene Freiheit und Unabhängigkeit.
Eine Fehlinterpretation mancher Filmkritiker war, dass die von Franzosen und Algeriern verübte Gewalt im Film gleichwertig dargestellt wird. Dass dem nicht so ist, wird in den Filmszenen deutlich, welche die verbreitete Anwendung der Folter durch die französischen Parachutistes (Fallschirmjäger, „Paras“) zeigt. Die algerischen Männer werden mit furchtbaren Mitteln gepeinigt, bleiben aber unnatürlich ruhig und strahlen eine gewisse Würde aus. Man zeigt und hört nicht ihre Schreie und Verzweiflung. Stattdessen ist das Höchste was an Schmerz und Agonie dargestellt wird, ein alter Araber, der, an den Händen aufgehängt, in einer Parallele zu Darstellungen des gekreuzigten Christus, die ihm zugefügten Schmerzen mit gesenktem Kopf und geschlossenen Augen stoisch erträgt. Dem Zuschauer werden die Algerier als Märtyrer eines antikolonialistischen Unabhängigkeitskampfes präsentiert, womit sie in einem dezidierten Gegensatz zu den französischen Opfern stehen. Diese leben scheinbar sorglos in den Tag und kennen nicht die Not ihrer arabischen Nachbarn.
Zwar zeigt der Film, dass auch die Algerier zivile Opfer auf Seiten der französischen Bevölkerung bewusst in ihre Taktik mit einbezogen hatten, und das Leiden der französischen Opfer wird auch gezeigt. Aber es wird nicht ikonisiert, wie jenes der Algerier. Die Bildsprache bleibt gegenüber den europäischen Opfern der Bombenattentate distanziert, die Opfer werden nicht individualisiert. Diese Einseitigkeit drückt sich schließlich auch in den blinden Stellen des Filmes aus: Der Film zeigt nicht, dass auch die Algerier gefoltert hatten, dass sie Frauen und Kinder lynchten. Nach der Unabhängigkeit verübten sie Massaker, um die in Algerien verbliebene französische Bevölkerung zu vertreiben, und nahmen Rache an den Harkis, den arabischstämmigen Hilfstruppen der französischen Armee, die dem Tode geweiht waren (je nach Schätzung 30.000 bis 150.000 Opfer). Nur einem kleinen Teil war es gelungen nach Frankreich zu flüchten.
Ebenso werden bei Pontecorvo die Täter unterschiedlich gezeichnet. Zwar ist mit dem französischen Colonel Mathieu – gespielt von Jean Martin, dem einzigen professionellen Schauspieler des Films – ein Charakter mit Ritterlichkeit und innerer Würde vorhanden. Dominierend ist aber das Bild des französischen Soldaten, der entweder seinen Gegner demütigt, Häme über dessen Erniedrigung empfindet oder Fememorde und Lynchjustiz an den Arabern ausübt. Da zeigt der Film einen französischen Soldaten, der einen arabischen Ladenbesitzer unter Schlägen nötigt, seinen Laden zu öffnen. Hier sieht man einen anderen Soldaten, der sich über einen gefolterten Araber lustig macht. Dort wird der französische Polizeichef gezeigt, der als Vergeltung für die Ermordungen und Feuerüberfälle auf seine Polizisten in der Nacht einen Bombenanschlag in der Kasbah verübt.
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Diese Unverhältnismäßigkeit ist weniger ein Fehler oder Versäumnis der Regiearbeit Pontecorvos, sondern war den Produktionsbedingungen geschuldet. Zwei Jahre hatte sich Pontecorvo für den Film „Schlacht um Algier“ mit dem Sammeln von Material, der Befragung von Zeitzeugen, dem Ausfindigmachen von Drehorten und der Suche nach Schauspieler beschäftigt. Aber trotz aller dokumentarischen Bemühungen und Recherchen blieb der Film eine Auftragsarbeit der FLN, auf deren Bereitschaft und Unterstützung Pontecorvo nur wenige Jahre nach dem Ende des Unabhängigkeitskrieges angewiesen war. Am prominentesten wird dies an Saadi Yacef deutlich, der sich selbst im Film unter dem Rollennamen Djafar spielte. Yacef schrieb auch den ersten, auf seinen publizierten Erinnerungen basierenden Drehbuchentwurf, der jedoch von Pontecorvo und dem Drehbuchautor Franco Solinas als amateurhaft verworfen wurde. Der Inhalt des Buches wurde hingegen weitgehend übernommen und der ehemalige Bombenbauer blieb während den Dreharbeiten ihr wichtigster Berater.
Die Produktion selbst stand unter enormem Kostendruck und Materialmangel. Doch Pontecorvo machte aus der Not eine Tugend. Seine Darsteller waren allesamt Laien. Die Bevölkerung der Kasbah wurde von den nach 1962 aus dem Landesinneren dorthin gezogenen Algeriern gespielt. Den Part der Franzosen übernahmen westliche Touristen. Der Film wurde an den Originalschauplätzen gedreht. Dies ging soweit, dass in der verwinkelten engen Kasbah nur ein Platz zur Verfügung stand, auf welchem die zur filmischen Sprengung vorgesehene Kulisse des Hauses Ali La Pointes aufgebaut werden konnte: Es war der Ort an dem das Haus stand, in dem sich 1957 der historische algerische Kämpfer Ali La Pointe verschanzt hatte. Von der französischen Armee umzingelt, in einer aussichtslosen Lage, war La Pointe dennoch nicht bereit sich zu ergeben. Das Haus war daraufhin gesprengt worden, um Opfer unter den französischen Soldaten bei der Erstürmung zu vermeiden. Realität und Film trafen sich so am selben Ort wieder, was die Frage nach der Authentizität des Filmes nur noch erhöht.
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Der Tod Ali La Pointes bedeutete auch das Ende der historischen „Schlacht“ um Algier. Aber der Krieg war mit der Niederschlagung des Aufstandes nicht vorbei, sondern verlagerte sich auf das Land. Trotz größter Anstrengungen der französischen Seite – bis zu 500.000 Soldaten wurden zur Aufstandsbekämpfung eingesetzt, große Teile der arabischen Bevölkerung wurden zwangsweise umgesiedelt – konnte die FLN nicht geschlagen werden. Doch auch die FLN vermochte nicht, aus eigener Kraft eine militärische Entscheidung zu erzwingen. Beide Seiten befanden sich in einer Pattsituation und in Frankreich fand der Krieg immer weniger Unterstützung und drohte je länger je mehr die ohnehin instabile Vierte Republik zu überlasten.
Zweimal, 1958 und 1961, versuchten französische Militärs, welche sich von der Regierung im Stich gelassen fühlten, die politische Ordnung in Frankreich zu stürzen. Offiziere, die oft 1940 bis 1944 selbst in der Résistance gegen die deutschen Besatzer gekämpft hatten, waren nach der Niederlage im Indochinakrieg 1954 und dem schmählichen Rückzug im Suezkrieg 1956 nicht bereit, auch noch Algerien aufzugeben. Zweimal stand Frankreich selbst vor einem Bürgerkrieg. Angesichts des Putschs der französischen Streitkräfte in Algerien 1958 wurde Charles de Gaulle mit der Regierung beauftragt. Mit dessen Regierungsübernahme und der Verfassungsreform vom 4.10.1958 endete die Vierte Republik.
Der Geheimbund „Organisation de l’ Armée Secréte“ (OAS) verübte ungestraft Terroranschläge gegen Algerier und französische Kriegsgegner (mindestens 2.000 Tote), etwa einen Sprengstoffanschlag gegen André Malraux, der sich schon 1958 öffentlich mit François Mauriac und Jean-Paul Sartre zusammen gegen den Einsatz der Folter gewandt hatte. Bei friedlichen Protesten in Paris wurden vor allem 1961/62 von der französischen Polizei Demonstranten brutal zusammengeschlagen und erschlagen, niedergeschossen, manche verwundet in die Seine geworfen. Ende der 1990er Jahre lösten diese wohl von der Regierung gedeckten Gewalttaten im Gefolge der Affaire Papon lebhafte Kontroversen aus. Die Zahl der Toten und Verschwundenen z.B. des Massakers vom 7. Oktober 1961 (engl.) in Paris schwankt je nach Angabe zwischen rund 50 und mehreren Hundert. In den Kontext gehört auch die „Affäre“ an der Metro-Station CharonneAls der 1958 gewählte Präsident der neuen, Fünften Republik, Charles de Gaulle, auf den manche Militärs anfangs ihre Hoffnungen gesetzte hatten, den verfahrenen Konflikt durch einen Ausgleich mit den Algeriern beenden wollte, kam es 1962 sogar zu einem Attentat auf de Gaulle , das Frederick Forsyth zu seinem Roman „The Day of the Jackal“ (Der Schakal) inspirierte, der kurz danach verfilmt wurde (1973).
Schon vorher hatten die massiven Verluste und der geringe Erfolg der jahrelangen militärischen Intervention in Verbindung mit der moralischen Niederlage der französischen Republik angesichts von Folter und Morden an politischen Gefangenen, die vormals bis ins kommunistische Lager bestehende Einigkeit über die unbedingt zu verteidigende Zugehörigkeit Algeriens zu Frankreich zusammenbrechen lassen. Eine Lösung des tiefen innerfranzösischen Konfliktes konnte nur durch die Beilegung des Algerienkrieges zustande kommen. Charles De Gaulle begann daher ab September 1959 – unterstützt von den Linksparteien und Gewerkschaften – einen Prozess, der schließlich in das Abkommen von Évian-les-Bains vom 18. März 1962 mündete. Am 3. Juni 1962 wurde Algerien unabhängig.
Auch Pontecorvo zeigt schließlich dem Zuschauer nach dem Tod Ali La Pointes den Sieg über den Kolonialismus. Doch nicht ein Einzelner oder die schmale Kaderorganisation, die von den Paras aufgerieben wurde, sondern die Masse der Unterdrückten stürzt in „Schlacht um Algier“ das Kolonialregime. Unkommentierte Szenen ohne Dialoge zeigen, wie die Bewohner Algiers in Massendemonstrationen durch die Stadt ziehen. Die Absperrungen der Polizei und des Militärs werden unter Opfern überrannt, die ausgesandten Panzer von der Menge umringt und besetzt. Im Schlussbild sieht man eine der ehemaligen Kampfgefährtinnen Ali La Pointes, die mit der neuen algerischen Fahne in den Händen tanzend den Sieg über das Kolonialregime feiert.
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Pontecorvo Film drehte einen parteiischen Film, blieb aber seinem Prinzip der „dittatura della verità“ treu. Sein Meisterwerk „La battaglia di Algeri” zeigt zwar keine „historische Wahrheit“. Pontecorvo schildert jedoch im Sinne seines politischen Antikolonialismus die Wahrheit über das Verhältnis von Unterdrückung, Freiheit und Gewalt.



Literatur

  • Roger Ebert, The Battle of Algiers, in: Chicago Sun-Times, 30.5.1968.
  • Joan Mellen, Filmguide to the Battle of Algiers, London 1973.
  • Daniel Mollenhauer, Die vielen Gesichter der Pacification. Frankreichs Krieg in Algerien (1954-1962), in: Thoralf Klein und Frank Schumacher (Hg.), Kolonialkriege. Militärische Gewalt im Zeichen des Imperialismus, Hamburg 2006, S. 329-366.
  • Gillo Pontecorvo: The Battle of Algiers, DVD-Set (and Booklet) 2004.
  • Thomas Ziegler, Die Schlacht um Algier und die „französische Doktrin“. Eine Wirkungsgeschichte, in: Zeitgeschichte 35,3 (2008), S. 138-153.
  • Themenheft „Dekolinisation: Prozesse und Verflechtungen 1945-1990“ von: Archiv für Sozialgeschichte 48 (2009), darin u.a.: Stephan Malinowski, Modernisierungskriege. Militärische Gewalt und koloniale Modernisierung im Algerienkrieg (1954-1962), in: ebd., S. 213-248; Fabian Klose, Zur Legitimation kolonialer Gewalt. Kolonialer Notstand, antisubversiver Krieg und humanitäres Völkerrecht im kenianischen und algerischen Dekolonisierungskrieg, in: ebd., S. 249-274.
  • Christiane Kohser-Spohn (Hg.), Trauma Algerienkrieg. Zur Geschichte und Aufarbeitung eines tabuisierten Konflikts, Frankfurt a.M. 2006.



3 Kommentare:

David hat gesagt…

Sehr vielen herzlichen Dank für diesen ausführlichen Text. Sehr hilfreich, sehr umfangreich und viele weitere Anknüpfungspunkte. Ich interviewe gerade meinen französischen Opa, der in der Résistance, in Indochina und in Algerien war und halte ein Referat über "battaglia di Algeri".
Da hilft dieser Artikel doch enorm.

Anonym hat gesagt…

'Der Regisseur stand damit ähnlich wie Rossellinis „Rom, offene Stadt“ in der Tradition des neorealistischen Kinos Italiens, wie beispielsweise auch Roberto Rossellini mit „Roma città aperta“ (Rom, offene Stadt, 1944).'
- Dieser Satz sollte nochmals ueberarbeitet werden ;-)

JFinger hat gesagt…

Besten Dank für den Hinweis! Schon erledigt.