Mittwoch, 6. März 2013

"Wenn alles bleiben soll, wie es ist, ..."

Ein Beitrag von Dr. Stefan Paulus (Universität Augsburg)


„Il Gattopardo“ (Der Leopard)

Frankreich/Italien, 1963, 183 min. – Regie: Luchino Visconti – Drehbuch: Luchino Visconti, Suso Cecchi D’Amico, Pasquale Festa Campanile, Enrico Medioli, Massimo Franciosa (nach dem Roman „Il Gattopardo“ von Giuseppe Tomaso di Lampedusa – Produzent: Goffredo Lombardo – Musik: Nino Rota (unter Verwendung von Themen von Giuseppe Verdi) – Kamera: Giuseppe Rotunno – Schnitt: Mario Serandrei – Darsteller: Burt Lancaster, Alain Delon, Claudia Cardinale, Rina Morelli, Paolo Stoppa, Romolo Valli, Lucilla Morlacchi, Mario Girotti i.e. Terence Hill. 


Ein Fürst, ein Graf und ein Ozelot

Luchino Viscontis preisgekrönter Historienfilm „Il Gattopardo“ (1963) spielt in den Jahren 1860 bis 1862 während einer der bedeutendsten Phasen der italienischen Einigungsbewegung, dem Risorgimento (Wiederaufleben).[1] Die filmische Handlung des „Gattopardo“ basiert auf Giuseppe Tomasi di Lampedusas gleichnamigen, zwischen 1954 und 1957 verfassten Roman. In diesem Schlüsselwerk der modernen italienischen Literatur schildert Lampedusa in acht Kapiteln den langsamen Untergang des fiktiven sizilianischen Adelsgeschlechts der Salina von der Eroberung Siziliens durch Garibaldi und der Gründung des Königreichs Italien um 1860 bis zum Mai 1910.[2]

Wappen der Familie Tomasi di Lampedusa (Pardelkatze)
Public Domain, Quelle: Wikimedia Commons
Der einzige Roman des 1896 in Palermo geborenen Schriftstellers aus altem sizilianischem Adel trägt deutlich autobiographische Züge. Tomasi di Lampedusa, Herzog von Palma (Palma di Montechiaro, auf sizilian. Parma di Muntichiaru oder Donnafugata) und Fürst von Lampedusa, bezog sich in der Ereignisabfolge und Personenkonstellation des „Gattopardo“ im wesentlichen auf die Geschichte des traditionsreichen und ehedem mächtigen Hauses Lampedusa, das seit den 1920er Jahren zunehmend in eine wirtschaftliche Existenzkrise geriet.[3] Als Vorbild für den Hauptprotagonisten des Romans Don Fabrizio, Fürst von Salina, diente der Urgroßvater des Autors. Gleiches gilt für den namensgebenden Gattopardo (Gattopard oder Pardelkatze, die bekannteste Art ist der Ozelot), das Wappentier der Lampedusa und des fiktiven Hauses Salina.[4] Nach der Teilnahme am Ersten Weltkrieg reiste der studierte Jurist Giuseppe Tomasi durch Europa, amtierte 1944 kurzzeitig als Präsident des italienischen Roten Kreuzes und lebte in relativ bescheidenen, eher bürgerlichen Verhältnissen von seinem Erbe in Palermo und Rom, wo er am 23. Juli 1957 an den Folgen eines Lungentumors starb.[5] Sein Roman „Il Gattopardo“, für den Lampedusa zu Lebzeiten keinen Verlag fand, erschien ein Jahr nach seinem Tod im renommierten Mailänder Verlagshaus Feltrinelli und avancierte sofort nach dem Erscheinen zum Bestseller. 1959 erhielt Lampedusa für den „Gattopardo“ posthum den Premio Strega, den bedeutendsten italienischen Literaturpreis.[6]

Donnerstag, 3. Mai 2012

"That agony is our triumph"

Ein Beitrag von Kristian Buchna M.A., Augsburg


Sacco e Vanzetti – I./F. 1971
Regie: Giuliano Montaldo - Musik: Ennio Morricone - Texte und Gesang: Joan Baez - Darsteller:  Gian Maria Volontè, Riccardo Cucciolla, Geoffrey Keen, Milo O’Shea, Cyril Cusack.


Americans who believe in isolation and non-interference in European affairs would be surprised if they could visit Paris at this time. They would find that America was as much isolated as a queen bee in full swarm with every worker and drone humming around her.
New York Times, 7. August 1927

Für Anhänger des in Amerika vielfach beschworenen „Nicht-Einmischungsprinzips“ müssen es wahrhaft schwere Zeiten gewesen sein, drohte dieses doch gleich von zwei Seiten durchlöchert zu werden: Einerseits erwies sich der Kriegseintritt der USA im Jahr 1917 als ein point of no return; der geradezu sprunghafte Aufstieg zur politischen und wirtschaftlichen Weltmacht war mit überkommenen isolationistischen Bestrebungen unvereinbar. Begünstigt und forciert durch eine unaufhaltsam voranschreitende Massenmedialisierung gerieten andererseits aber auch innere Entwicklungen der neuen Großmacht zunehmend in den Fokus einer interessierten, kritischen Weltöffentlichkeit. Im August 1927 erreichte das globale Interesse an einer auf den ersten Blick innenpolitischen Angelegenheit der USA, nämlich der bevorstehenden Hinrichtung zweier wegen Raubmordes zum Tode verurteilter italienischer Einwanderer, ein bis dato ungekanntes Ausmaß – keineswegs nur in Paris, wo zum Schutz der amerikanischen Botschaft sogar Panzer zum Einsatz kamen. Das Spektrum der „Anteilnahme“ war breit: Petitionen, Gnadengesuche, Massendemonstrationen (vgl. die  externe Gallerie) mit z. T. über 100.000 Teilnehmern, Generalstreiks, Boykotte amerikanischer Waren oder Häfen, Verbrennungen von US-Flaggen, Hungerstreiks politischer Gefangener, tätliche Übergriffe auf amerikanische Einrichtungen, Bombenattentate oder -drohungen gegen US-Botschaften und Konsulate. Als geographisches Zentrum jenes Protestes lässt sich zwar unschwer Mittel- und Westeuropa ausmachen, doch von Skandinavien bis Südafrika, von Argentinien bis Japan, von Marokko bis Griechenland, von Kuba bis Rumänien gab es kaum ein Land, in dem sich nicht auf diese oder jene Weise Proteste regten. Die 1920er Jahre waren sicherlich nicht eben arm an Demonstrationen und Streiks – als vermutlich erster globaler, zeitgleich sich vollziehender Massenprotest dürfte die Bewegung gegen die Hinrichtung von Nicola Sacco und Bartolomeo Vanzetti jedoch in Qualität und Quantität alles bisher Dagewesene in den Schatten gestellt haben.1

Protest in London, 1921, anonymer Fotograf, Quelle: Wikimedia (Public Domain)

Dienstag, 29. September 2009

Ikone des sowjetischen Revolutionsfilms

Ein Beitrag von Dr. Andreas Zellhuber, Augsburg

"Panzerkreuzer Potemkin" – UdSSR 1925
Russ.: „Bronenossez Potjomkin“ – SW, stumm mit russ. Zwischentiteln, 63 min., restaurierte Fassung (Deutsche Kinemathek): 70 min. – Regie und Schnitt: Sergei Eisenstein – Drehbuch: Nina Agadschanowa, Sergei Eisenstein, Sergei Tretjakov und Nikolai Aseiev, nach einer Vorlage von Alexander J. Newski – Film-Musik: Edmund Meisel / Pet Shop Boys u.a. – Kamera: Eduard Tisse und Wladimir Popow – Darsteller: Aleksandr Antonow (Wakulintschuk) u.a.

Der Film „Panzerkreuzer Potemkin“ des russischen Regisseurs Sergei Eisenstein war eine Auftragsarbeit. Am 17. März 1925 beschloss die Jubiläumskommission der Kommunistischen Partei der Sowjetunion, das Hauptschauspiel zum feierlichen Gedenken an die revolutionären Geschehnisse des Jahres 1905 solle die Aufführung eines Films sein, flankiert von Reden und mit Orchesterbegleitung. Anfang April legte der Parteihistoriker Alexander J. Newski ein Typoskript der wichtigsten Ereignisse von 1905 vor. Basierend auf Augenzeugenberichten schilderte Newski unter anderem den Aufstand der Matrosen auf dem Panzerkreuzer „Fürst Potemkin von Taurien“ am 14. und 15. Juni 1905 im Hafen von Odessa, berichtete über die Empörung der Einwohner Odessas, die zum Hafen strömten, um sich mit den Matrosen zu solidarisieren, beschrieb schließlich die gewaltsame Niederschlagung des Aufstandes durch die zaristische Staatsmacht auf der Treppe zwischen Stadtzentrum und Hafen (Bild 1, Bild 2). Nachdem Nina Agadashnowa-Schutko, Partisanin des Bürgerkrieges und verdiente Parteifunktionärin, das Typoskript zu einem Drehbuch umgearbeitet hatte, begannen noch im Juni die Vorbereitungen der Dreharbeiten. Diese wurden im August aufgenommen und im November 1925 beendet.

Donnerstag, 21. Mai 2009

„Gnade Gott meinen Feinden, ich will sie erbarmungslos zertreten.“

Ein Beitrag von Dr. Markus Seemann, Augsburg/Aurich

„Carl Peters“ – D 1940/41
Deutschland, 1940/41, 121 min. – Regie: Herbert Selpin – Drehbuch: Ernst von Salomon, Walter Zerlett-Olfenius, Herbert Selpin – Produktion: Bavaria Filmkunst – Musik: Franz Doelle – Kamera: Franz Koch – Darsteller: Hans Albers, Karl Dannemann, Fritz Odemar.

Der Film „Carl Peters“ von Herbert Selpin mit Hans Albers in der Hauptrolle von 1940/41 ist dem wohl prominentesten deutschen Kolonialpionier gewidmet. Auf der Ostseeinsel Rügen sowie in den Barrandow-Ateliers bei Prag wurde eine Szenerie erzeugt, in der, nicht zuletzt mit Hilfe von farbigen französischen Kriegsgefangenen als Komparsen, das 1918 verloren gegangene Schutzgebiet Deutsch-Ostafrika für den Kinobesucher in neuem Glanz erstehen konnte. Der Film gibt Anlass für eine Annäherung an eine vieldeutige Persönlichkeit der deutschen Kolonialgeschichte. Schon für seine Zeitgenossen diente Carl Peters (Porträt) als Projektionsfläche, die verschiedenste Einordnungen zuließ. Der Film aus dem zweiten Kriegsjahr des Zweiten Weltkriegs stellt ein spätes Beispiel nationalsozialistischer Kolonialpropaganda dar, Deshalb muss der Wahrheitsgehalt und die Quellenbasis des Films differenziert betrachtet werden: Ungenauigkeiten und Abweichungen vom realen Geschehen sind hier nicht nur als Ausdruck filmisch-künstlerischer Freiheit zu verstehen, sondern nähren der Verdacht bewusster Verfälschung der Geschichte zu politischen Zwecken.

Dienstag, 14. April 2009

„Terroism is useful as a start. But then, the people themselves must act“

Ein Beitrag von Dr. German Penzholz, Augsburg

„La battaglia di Algeri“ (Schlacht um Algier) – I/Alg 1966
Italien/Algerien, 1966, 121 min. – Regie: Gillo Pontecorvo – Drehbuch: Franco Solinas, Gillo Pontecorvo – Produzent: Antonio Musu, Saadi Yacef – Musik: Ennio Morricone, Gillo Pontecorvo – Kamera: Marcello Gatti – Schnitt: Mario Morra, Mario Serandei.
Darsteller: Brahim Haggiag, Jean Martin, Saadi Yacef, Ugo Paletti, Fusia El Kader.

Der politische Führer der algerischen Front de Libération Nationale (FLN), Larba Ben M´hidi, und der junge Kämpfer Ali la Pointe stehen gemeinsam auf der Dachterrasse eines „sicheren Hauses“ in der Kasbah – dem Altstadtviertel Algiers (Bilder)–und diskutieren ihre weitere Strategie. Außerhalb haben die französischen Truppen das Viertel nach zahlreichen Überfällen und Bombenattentaten der FLN auf die Polizei und auf französische Bürger abgeriegelt. Ben M´hidi zügelt den Tatendrang La Pointes, der weitere Anschläge verüben will, und weist auf die Komplexität eines Unabhängigkeitskampfes hin, an dem zwar am Beginn der Terrorismus stehe, der zu einem bewaffneten Aufstand, einer Revolution und dem Ende des Kolonialregimes führe. Dies sei aber erst der Anfang. Der schwierigste Teil käme nach dem Kampf mit dem Aufbau einer eigenen unabhängigen Gesellschaft.
Neben einer Anleitung zum Bombenbau und -einsatz, zur Ausführung von Feuerüberfällen und Hinterhalten – einem Leitfaden für den „Urban Warfare“ –, lieferte damit der Film auch einen ideologischen und politischen Grundriss für den Kampf gegen die „westlichen Imperialsysteme“. Dieser politische Hintergrund ließ „Schlacht um Algier“ zu einem Kultfilm in den ehemaligen Kolonien und für die westlichen „68er-Bewegungen“ werden. Die realistischen Szenen des Häuser- und Straßenkampfes machten ihn zugleich zum Lehrmaterial der „Black Panther“, der „Irish-Republican-Army“ (IRA), arabischer Terrorgruppen und sogar des Pentagon.
Eine Reduzierung des Films auf seine politischen Inhalte würde ihm aber nicht gerecht. „Schlacht um Algier“ ist ein Gesamtkunstwerk, in dem sich die Musik Ennio Morricones (Homepage), eine revolutionäre Kameraführung und die kompromisslose Regiearbeit Gillo Pontecorvos erfolgreich verbanden. Mit der Verleihung des „Goldenen Löwen“ bei den Filmfestspielen in Venedig 1966 für den besten Film erhielten der Film und sein Regisseur die gebührende Anerkennung.

Freitag, 30. Januar 2009

"Whose word do you think they're going to accept?"

Ein Beitrag von Dr. Thomas Vordermayer, München

Paths of Glory (Wege zum Ruhm) – 1957

USA, 1957, 87 min., Regie: Stanley Kubrick – Drehbuch: Stanley Kubrick, Calder Willinghamm, Jim Thompson – Produktion: James B. Harris, Stanley Kubrick – Musik Gerald Fried – Kamera: Georg Krause – Schnitt: Eva Kroll.
Darsteller: Kirk Douglas, Ralph Meeker, Adolphe Menjou, George Macready, Wayne Morris, Richard Anderson, Susanne Christian (verh. Kubrick), Joe Turkel, Timothy Carey.

Aktualisierte und erweiterte Fassung, Februar 2015


Das Bemühen um eine detaillierte geschichtliche Verortung der filmischen Handlung, wie sie mit guten Gründen am Ausgangspunkt vieler Vorstellungen historischer Spielfilme steht, stößt bei Stanley Kubricks Paths of Glory (1957) schnell an Grenzen. Der Versuch, den Film einer konkreten Phase des Ersten Weltkriegs oder gar einem genauen Frontabschnitt zuzuordnen, scheitert an den marginalen Informationen, die der Regisseur seinem Publikum präsentiert. Abgesehen von der Einblendung „France 1916“ und einem gerafften ereignisgeschichtlichen Abriss des Kriegs von seinem Ausbruch bis zu seiner Stagnation in den Schützengräben, erfahren wir als Zuschauer nichts – jedenfalls nichts Konkretes. Zufällig ist der Verzicht auf politische und militärische Detailinformationen dabei freilich nicht. Kubrick interessierten die militärischen Auseinandersetzungen des Ersten Weltkriegs, die Genese, der Verlauf und das Ergebnis einzelner Schlachten, nur am Rande. Stattdessen ging es ihm darum, die inneren Grabenkämpfe, Konfliktfelder und Abhängigkeitsverhältnisse abzubilden, wie sie sich quer durch ein „hierarchisch strukturierte[s] und verhärtete[s] (Militär-)System“ ziehen, das wiederum „nur die von ihm selbst hervorgebrachten Wahrheiten anerkennt“1 und dadurch die Handlungsweisen und -spielräume aller Protagonisten maßgeblich bedingt. In Paths of Glory illustriert Kubrick diesen Sachverhalt anhand der französischen Armee – er verstand ihn allerdings ausdrücklich als ein generelles Phänomen aller modernen Kriege und Armeen.2 Anders als Kubrick seinerzeit mitunter zum Vorwurf gemacht wurde, transportiert Paths of Glory also keine speziell gegen Frankreich zielende Kritik; die französische Armee bleibt stets nur ein Fallbeispiel. Der Film nimmt vielmehr Stellung gegen „the whole concept of military authority“3, wie ein Rezensent der New York Times bereits zwei Tage nach der Premiere hellsichtig hervorhob. Kubrick selbst bestätigte später diese Einschätzung.4

Sonntag, 8. Juni 2008

Segnungen und Gefährdungen moderner Technologie

Ein Beitrag von Dr. Andreas Zellhuber, Augsburg

Forbidden Planet (1956)


„Forbidden Planet“, im deutschen Verleih „Alarm im Weltall“ betitelt, ist ein US-amerikanischer Science-Fiction-Film aus dem Jahre 1956, der im späten 23. Jahrhundert auf dem weit entfernten Planeten Altair 4 spielt.1
Auf der Suche nach verschollenen Kolonisten landet das Raumschiff von Commander Adams auf einer fremdartigen, exotischen Welt, wo die Besatzung schon bald dem mysteriösen Wissenschaftler Dr. Morbius, dessen ebenso bezaubernder wie unbedarfter Tochter Altaira sowie dem Faktotum Robby, the Robot begegnet. Während sich zwischen Commander Adams und Altaira eine Romanze entspannt, offenbart Morbius – wenn auch widerstrebend – das Geheimnis, das er auf Altair entdeckt hat: vor mehreren hunderttausend Jahren war der Planet Heimat der technisch weit überlegenen Rasse der Krell. Hinterlassenschaften in Form gewaltiger Bibliotheken, Maschinenhallen und Kraftwerke durchziehen das Innere des Planeten. Dr. Morbius ist es gelungen, sich Teile des umfassenden Wissens der Krell anzueignen und einige ihrer Maschinen zu bedienen. Herzstück der Krell-Technologie ist indes ein Supercomputer, das ID, das in der Lage ist, Gedanken und Wünsche, aber auch sublime Gefühle und Triebe in jedweder Form auf jedem Punkt des Planeten physisch zu manifestieren. Noch während der Wissenschaftler dem erstaunten Raumschiffkommandanten die geheimnisvollen Artefakte der untergegangenen Zivilisation vorführt, kommt es zu einem Angriff auf Schiff und Besatzung durch einen unsichtbaren Gegner. Es zeigt sich: die gestaltlose Kreatur wurde als Ausdruck der Empfindungen Dr. Morbius’ durch das ID generiert …
Es stellt sich zunächst die Frage: was hat eine solche Handlung, was hat ein solches fantastisches Setting, in Raum und Zeit von der irdischen Vergangenheit durch Jahrhunderte und Lichtjahre getrennt, mit Geschichte zu tun? Was hat ein Film, der von der Kritik mitunter als „naives“ Weltraummärchen2, als „altmodisches SF-Abenteuer“3 verspottet wurde, in einer historischen Lehrveranstaltung zu suchen?

Freitag, 1. Februar 2008

„Provoziere nicht die Gesellschaft!“

Ein Beitrag von Kristian Buchna, M.A., Augsburg

Das Mädchen Rosemarie (1958)
von Rolf Thiele, nach einem Drehbuch von Erich Kuby, Rolf Thiele, Rolf Ulrich und Jo Herbst, mit Nadja Tiller, Carl Raddatz, Gert Fröbe, Peter van Eyck, Mario Adorf, Jo Herbst, Horst Frank und anderen




kb – Am 12. Dezember 2007 eröffnete im Haus der Geschichte der Bundesrepublik Deutschland in Bonn eine Wechselausstellung zum Thema „Skandale in Deutschland nach 1945“. Präsentiert werden dort 20 jeweils Aufsehen erregende Fälle aus den unterschiedlichsten gesellschaftlichen Bereichen. Doch ob nun Hildegard Knef als vielfach angefeindete „Sünderin“ oder der Bundesligaskandal Anfang der 70er, ob Beate Klarsfelds Ohrfeige gegen Bundeskanzler Kiesinger oder auch Rolf Hochhuths (Homepage) Drama „Der Stellvertreter“ – in fast allen Fällen lassen sich die Auslöser der Skandale und ihre Protagonisten ziemlich präzise benennen. Bei einem Namen jedoch fällt eine solche Zuordnung – man könnte fast sagen: wider Erwarten – schwer: Rosemarie Nitribitt.

Die Gründe für jene Schwierigkeit liefert das Haus der Geschichte auf seiner Homepage höchstselbst, denn dort bekommt der Besucher als Pressefoto nicht etwa eine der vielfach reproduzierten Nitribitt-Aufnahmen zu Gesicht, die sie z. B. vor ihrem wohl bedeutendsten „Accessoire“, einem schwarzen Mercedes 190 SL, zeigt, nein, vielmehr lächelt die österreichische Schauspielerin Nadja Tiller von der Motorhaube eines baugleichen, wenn auch rotfarbenen Cabriolets herab. Spätestens hier stellt sich die Frage nach Auslösern und Trägern des Skandalons Nitribitt ganz akut, denn in dem einen Fall haben wir es mit einer realen Frankfurter Prostituierten zu tun, im anderen mit einem berühmt-berüchtigten Film aus dem Jahre 1958. Was genau aber zeichnet nun dafür verantwortlich, dass der Name Nitribitt im Laufe der letzten 50 Jahre zu einem Quasi-Synonym für „Skandal“ geworden ist? In bewusster Trennung der Bereiche von Realität und Fiktion soll dieser Frage im Folgenden nachgegangen werden, wobei der Film und seine Rezeption im Vordergrund stehen werden.

Mittwoch, 16. Januar 2008

"Warum machen Sie nicht einen Film über Berlin – ohne Story?"

Berlin. Die Sinfonie der Großstadt (1927)
Regie: Walther Ruttmann, Musik: Edmund Meisel, Drehbuch Walter Ruttmann und Karl Freund


NB: Der Film ist inzwischen gemeinfrei und kann online (allerdings ohne befriedigende Filmmusik) abgerufen werden bei google Video bzw. über einen eigenen Blog, sowie zum Downlaod bei archive.org.

Freitag, 23. November 2007

Es ist nicht schwer, gut zu sterben

Ein Beitrag von Dr. Sven Keller, München

Roma - citta aperta (Rom - offene Stadt) 1945
von Roberto Rossellini, nach einem Drehbuch von Albertoe Consiglio, Sergio Amidei und Federico Fellini, mit Aldo Fabrizi und Anna Magnani


Am 24. September 1945, etwas mehr als vier Monate nach dem Ende des Zweiten Weltkrieges in Europa, hatte im Teatro Quirino in Rom ein Film Premiere, der in den folgenden Monaten weltweit von der Kritik geradezu enthusiastisch aufgenommen wurde: Roberto Rossellinis Roma città aperta. Bereits am 26. Februar 1946 war Rom – Offene Stadt in New York zu sehen, wo er anschließend 21 Monate lang lief. 1947 kam der Film auch in Großbritannien und Frankreich auf die Leinwand. Anders in Deutschland: hier dauerte es immerhin fünfzehn Jahre, bis zum 21. Februar 1961, bis man glaubte, Rossellinis Film dem Publikum zeigen zu dürfen.

Mittwoch, 18. Juli 2007

If you prick us, do we not bleed?

Ein Beitrag von Dr. Sven Keller, München

To Be or Not To Be (Sein oder Nicht Sein), 1942
von Ernst Lubitsch, nach einem Drehbuch von Edwin Justus Meyer, nach dem Theaterstück "Noch ist Polen nicht verloren" von Melchior Lengyel, mit Carole Lombard, Jack Benny, Robert Stack und anderen


* * *
If you tickle us, do we not laugh?
If you poison us, do we not die?
And if you wrong us
shall we not revenge?
William Shakespeare, The Merchant of Venice,
Act III, Scene 1

* * *


Sommer 1941: Das Deutsche Reich hatte in einer Reihe von Blitzkriegen halb Europa erobert. Der Überfall auf die Sowjetunion hatte gerade begonnen, und die Wehrmacht war auf dem Weg nach Moskau. Als erstes Land war Polen schon 1939 – also fast zwei Jahre zuvor – Hitlers Rassen- und Weltanschauungskrieg im Osten zum Opfer gefallen, und die Nachrichten, die aus dem besetzten Land nach außen drangen, waren mehr als schrecklich. Hitler war dem Sieg näher als der Niederlage. Dies ist die weltpolitische Situation, in der Ernst Lubitsch zusammen mit Edwin Meyer das Buch zu seinem Film Sein oder Nichtsein schrieb. Die Dreharbeiten begannen am 6. November 1941 und endeten 42 Drehtage später am 23. Dezember. In diesen sieben Wochen hatten die Japaner Pearl Harbor angegriffen; die USA waren in den Krieg eingetreten, und das NS-Regime hatte endgültig die Weichen für die Ermordung aller Juden in Europa gestellt.

In dieser Zeit also drehte Ernst Lubitsch einen Film, der – soviel sei vorweggeschickt – im besetzten Polen spielt und den Überlebenskampf des polnischen Widerstandes gegen die Gestapo thematisiert. Dieser Film gehört unter den gegebenen Umständen einem Genre an, das auf den ersten Blick wohl als das unwahrscheinlichste, vielleicht sogar unpassendste aller Genres erscheint: Lubitsch drehte eine Komödie.

Freitag, 2. Februar 2007

You can't fight in the War Room!

Ein Beitrag von Jürgen Finger, München

Dr. Strangelove or: How I learned to Stop Worrying and love the Bomb
Dr. Seltsam oder: Wie ich lernte die Bombe zu lieben
1963/64


Ein Film von Stanley Kubrick, nach einem Drehbuch von Stanley Kubrick, Terry Southern und Peter George, nach dem Roman "Red Alert" von Peter Bryant alias Peter George (1958), mit Peter Sellers, Georg C. Scott, Sterling Hayden, Slim Pickens

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Anregendes Gedankenspiel oder perverser Scherz – dem heutigen Zuschauer dürfte das Urteil über Dr. Strangelove or: How I learned to Stopp Worrying and Love the Bomb einfacher fallen. Für viele Zeitgenossen aber mag der Scherz, den Kubrick mit dem Entsetzen treibt, sehr wohl ein Tabubruch gewesen sein – die Möglichkeit einer Weltvernichtung aus Versehen in einer Komödie darzustellen, bedeutete das nicht eine zynische Verharmlosung der nuklearen Bedrohung, das Weltenende als Slapstick-Komödie? Ein Filmkritiker der New York Times urteilte, der Film sei der „entsetzlichste kranke Scherz, der mir je untergekommen ist, und gleichzeitig eine der klügsten und scharfsinnigsten Satiren über die Unbeholfenheit und den Wahnsinn des Militärs, die je auf der Leinwand zu sehen war“ (Bosley Crowther).

Aber ich kann nicht! Kann mir nicht entkommen!

Ein Beitrag von Jürgen Finger, München


M. Eine Stadt sucht einen Mörder (1931)
Ein Film von Fritz Lang – nach einem Drehbuch von Thea von Harbou und Fritz Lang – mit Peter Lorre, Gustaf Gründgens und Theo Lingen



„Immer muß ich durch die Straßen gehen und immer spür ich, es ist einer hinter mir her. Das bin ich selber! Manchmal ist mir, als ob ich selbst hinter mir herliefe! Aber ich kann nicht! Kann mir nicht entkommen!“ (Monolog Hans Beckerts)


Obwohl einer der ersten großen Tonfilme der deutschen Filmgeschichte und nun ein dreiviertel Jahrhundert alt, beeindruckt der Film „M. Eine Stadt sucht einen Mörder“ über seine filmhistorische Bedeutung hinaus auch heute noch das Publikum: die verstörende Geschichte und die Verbrechen des auf realem Vorbild beruhenden Kindermörders Hans Beckert; seine betroffen machenden Rechtfertigungsversuche gegenüber einem wild gewordenen Mob; die allgemeine Gleichgültigkeit der Massen in der modernen Großstadt, die infolge der Morde an Kindern, an den Schwächsten der Gesellschaft, überreizt und durch die Berichterstattung aufgeputscht werden ... das sind Themen, die auch heute noch aktuell scheinen und berühren. Nur wenige filmische Werke dürften – bei aller Zeittypik der 20er Jahre – im Umgang mit derart Problematischem seitdem an den Film Fritz Langs heranreichen. Und nicht zuletzt beeindruckt auch heute die Leistung Peter Lorres in der schwierigen, so gar keine Sympathien heischenden Rolle des Kindermörders.