Freitag, 30. Januar 2009

"Whose word do you think they're going to accept?"

Ein Beitrag von Dr. Thomas Vordermayer, München

Paths of Glory (Wege zum Ruhm) – 1957

USA, 1957, 87 min., Regie: Stanley Kubrick – Drehbuch: Stanley Kubrick, Calder Willinghamm, Jim Thompson – Produktion: James B. Harris, Stanley Kubrick – Musik Gerald Fried – Kamera: Georg Krause – Schnitt: Eva Kroll.
Darsteller: Kirk Douglas, Ralph Meeker, Adolphe Menjou, George Macready, Wayne Morris, Richard Anderson, Susanne Christian (verh. Kubrick), Joe Turkel, Timothy Carey.

Aktualisierte und erweiterte Fassung, Februar 2015


Das Bemühen um eine detaillierte geschichtliche Verortung der filmischen Handlung, wie sie mit guten Gründen am Ausgangspunkt vieler Vorstellungen historischer Spielfilme steht, stößt bei Stanley Kubricks Paths of Glory (1957) schnell an Grenzen. Der Versuch, den Film einer konkreten Phase des Ersten Weltkriegs oder gar einem genauen Frontabschnitt zuzuordnen, scheitert an den marginalen Informationen, die der Regisseur seinem Publikum präsentiert. Abgesehen von der Einblendung „France 1916“ und einem gerafften ereignisgeschichtlichen Abriss des Kriegs von seinem Ausbruch bis zu seiner Stagnation in den Schützengräben, erfahren wir als Zuschauer nichts – jedenfalls nichts Konkretes. Zufällig ist der Verzicht auf politische und militärische Detailinformationen dabei freilich nicht. Kubrick interessierten die militärischen Auseinandersetzungen des Ersten Weltkriegs, die Genese, der Verlauf und das Ergebnis einzelner Schlachten, nur am Rande. Stattdessen ging es ihm darum, die inneren Grabenkämpfe, Konfliktfelder und Abhängigkeitsverhältnisse abzubilden, wie sie sich quer durch ein „hierarchisch strukturierte[s] und verhärtete[s] (Militär-)System“ ziehen, das wiederum „nur die von ihm selbst hervorgebrachten Wahrheiten anerkennt“1 und dadurch die Handlungsweisen und -spielräume aller Protagonisten maßgeblich bedingt. In Paths of Glory illustriert Kubrick diesen Sachverhalt anhand der französischen Armee – er verstand ihn allerdings ausdrücklich als ein generelles Phänomen aller modernen Kriege und Armeen.2 Anders als Kubrick seinerzeit mitunter zum Vorwurf gemacht wurde, transportiert Paths of Glory also keine speziell gegen Frankreich zielende Kritik; die französische Armee bleibt stets nur ein Fallbeispiel. Der Film nimmt vielmehr Stellung gegen „the whole concept of military authority“3, wie ein Rezensent der New York Times bereits zwei Tage nach der Premiere hellsichtig hervorhob. Kubrick selbst bestätigte später diese Einschätzung.4

Eine nähere militär- und politikgeschichtliche Verortung der Handlung ist also kaum möglich und würde, was schwerer wiegt, auch der Intention des Regisseurs zuwider laufen. Immerhin kann jedoch festgehalten werden, dass Paths of Glory eine Etappe des Ersten Weltkriegs ins Bild setzt, in der an der Westfront bereits die Material- und Abnutzungsschlachten tobten, wie sie sich schon in der Zwischenkriegszeit irreversibel in das kollektive Gedächtnis der kriegsbeteiligten Länder eingeschrieben hatten – als Sinnbild eines anonymisierten und sinnentleerten Massensterbens. Kubricks Perspektive bleibt dabei stets auf das Innenleben der Armee fokussiert.

Paths of Glory basiert auf dem gleichnamigen, 1935 publizierten Roman des heute selbst in Expertenkreisen fast vollständig vergessenen amerikanischen Schriftstellers Humphrey Cobb (1899-1944). Cobb, ein Veteran des Ersten Weltkriegs, versuchte in seinem Buch, einer wahren Begebenheit des Kriegs ein literarisches Denkmal zu setzen: der in Frankreich unter dem Schlagwort „Affaire des caporaux de Souain“ bekannt gewordenen „ungerechtfertigte[n] Erschießung fünf französischer Soldaten wegen Meuterei im Jahre 1915“5. Im Gegensatz zu heute erfreuten sich der Roman und seine Thematik in den 1950er Jahren einiger Aufmerksamkeit, nicht zuletzt in den Vereinigen Staaten. Durch die Adaption des Romans für die Kinoleinwand gelang es Kubrick, erstmals in großem Stil als Regisseur auf sich aufmerksam zu machen.

Gedreht wurde Paths of Glory aufgrund des damals sehr günstigen Dollarkurses indes nicht in den USA, sondern vollständig in Deutschland, namentlich in den Bavaria Filmstudios in München-Geiselgasteig, im nahe gelegenen Schloss Schleißheim und in Bernried am Starnberger See. Das Ergebnis war binnen weniger Wochen ein Film, der der Öffentlichkeit heute weitgehend unbekannt, eventuell sogar fremd geworden ist. Gemessen an Kubricks ungleich berühmterer und beliebterer Kriegssatire Dr. Strangelove (1964) und Antikriegsfilm-Klassikern wie Im Westen nichts Neues (1930) und Die Brücke am Kwai (1957) fristet Paths of Glory jedenfalls eher ein Schattendasein in der Geschichte des Kriegsfilms des 20. Jahrhunderts. Bei einer näheren Beschäftigung mit Kubricks Frühwerk drängt sich indes rasch der Eindruck auf, dass Analogien zu den genannten Filmen einem Verständnis von Paths of Glory kaum zuträglich sind, so naheliegend sie zunächst erscheinen mögen. Von der moralisierenden und sentimentalen Adaption des Erich Maria Remarque-Bestsellers sowie der makabren Weltuntergangsposse Dr. Strangelove grenzt sich Paths of Glory jedenfalls durch abweichende inhaltliche Schwerpunkte und eine eigenständige Bildsprache deutlich ab.

Trailer, 1957, Youtube: The Criterion Collection

Zur Ausgangssituation der Handlung: Der französische General Georges Broulard (gespielt von Adolphe Menjou) besucht den ihm untergebenen, in einem an das Zeitalter des Absolutismus erinnernden Schloss residierenden General Paul Mireau (gespielt von George Macready), um mit ihm die Einnahme des „Ant Hill“ zu diskutieren – einer kleinen Anhöhe ohne nennenswerte militärstrategische Bedeutung, die sich fest in deutscher Hand befindet und praktisch uneinnehmbar ist. Als bedeutsam erweist sich die Anhöhe indes aus karrierestrategischen Überlegungen: für den Fall einer erfolgreichen Eroberung wird Mireau von Broulard eine Beförderung in Aussicht gestellt. Von Ehrgeiz getrieben und Bedenken um das Wohlergehen der eigenen Truppen unbelastet, gibt Mireau die angedachte Militäroperation – zuvor als unsinnig und aussichtslos abgelehnt – plötzlich als realisierbar aus und versichert seinem Vorgesetzten, den Angriff alsbald durchzuführen.

Diese von Karrierekalkül, persönlicher Abhängigkeit aber auch unausgesprochenen Sanktionsmechanismen geprägte Konstellation wiederholt sich im Gespräch Mireaus mit dem Divisionskommandanten Dax – virtuos gemimt von Kirk Douglas, dessen Gage allein mehr als ein Drittel des Gesamtbudgets der Produktion verschlang.6 Mireau beauftragt Colonel Dax mit der Einnahme des unversehens prestigeträchtig gewordenen „Ant Hill“. Etwa 5% der Soldaten, so rechnet Mireau gewieft vor, würden im eigenen Sperrfeuer umkommen, 10% beim Vorstoß im No man's land, weitere 20% an den feindlichen Stacheldrähten, 25% schließlich bei der eigentlichen Einnahme der Stellungen; die überlebenden 40% reichten wiederum aus, um den eroberten Hügel zu halten. Ähnlich wie Mireau in seinem Gespräch mit Broulard lehnt auch Dax die Operation zunächst als aussichtslos ab, fügt sich letztlich jedoch widerstrebend der chain of command, als ihn Mireau mit einer Ablösungsdrohung konfrontiert. Dax führt schließlich den Angriff an, der sich erwartungsgemäß als Himmelfahrtskommando entpuppt und in einem verheerenden Debakel für die französischen Soldaten endet. Nach einer (nicht nur für die damalige Zeit) eindrucksvollen Darstellung der gescheiterten Offensive auf die deutschen Stellungen, thematisiert der Film anschließend den Umgang mit der Niederlage innerhalb der französischen Armee, konkret: die Verschiebung der Verantwortung von den Befehlshabern zu den Befehlsempfängern und den Umgang mit den alsbald gefundenen Sündenböcken: drei willkürlich ausgewählte, einfache Soldaten, die für ihr angebliches „Versagen“ und die ihnen unterstellte Feigheit vor dem Feind hingerichtet werden sollen. Für die Sache der Soldaten setzt sich Dax, im zivilen Leben Rechtsanwalt, überaus energisch, jedoch vergeblich ein.

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Trotz seines Einsatzes für die Soldaten hat gerade die Figur des Colonel Dax seit jeher Anlass zu Kontroversen gegeben. Das Spektrum der Deutungen reicht von Huldigungen des Kommandanten als dem „most noble and admirable character in all of Kubrick’s work“7, bis hin zu der Verdammung Dax’ als blauäugigen „armchair liberal“ 8, dessen inkonsequentes Verhalten – schließlich füge er sich letztlich den mörderischen Plänen seiner Vorgesetzten – ihn zum „eigentliche[n] Garant[en] für das Weiterbestehen einer [inhumanen] militärischen Ordnung“9 mache. Auch wenn die sich in diesen Urteilen spiegelnde Ambivalenz des Colonels nicht endgültig aufzulösen ist, erscheint eine im Kern positive Wertung doch plausibler. Gewiss: Dax wird in seinem Verhalten seinen persönlichen Idealen nicht immer gerecht. Doch ist dies nicht mangelnder Integrität oder einem nur halbherzigen Engagement geschuldet, sondern seiner Scharnierposition zwischen Generalität und Truppen. Hier kollidieren die Pflichten als Offizier und die Loyalität gegenüber den ihm unterstellten Soldaten als zwei schwer miteinander vereinbare Sphären. Ein widerspruchsfreies, den hehren Idealen friedliebender Außenstehender entsprechendes Handeln wird dadurch praktisch unmöglich, mindestens aber außerordentlich schwierig. Dax bleibt dadurch von einer starken Diskrepanz zwischen „reale[r] Unterordnung“10 und einem durchaus heroischen Idealismus gezeichnet. Doch ist es gerade seine psychologisch wie auch strukturell nachvollziehbare Zerrissenheit, die ihn zu einer glaubwürdigen Identifikationsfigur werden lässt. Durch seinen zwar vielleicht nicht mit allerletzter Vehemenz vorgetragenen, ohne Zweifel aber aufrichtigen Einsatz für seine Soldaten, stellt Dax jedenfalls den – hier ist Mario Falsetto sicherlich zuzustimmen – in Kubricks Œuvre in der Tat sehr seltenen Fall eines Helden dar, dem der Zuschauer echten Respekt zollen kann.

Kirk Douglas wusste diese rare Gelegenheit gut zu nutzen und verfestigte durch seine schauspielerische Darbietung in Paths of Glory, die mit Recht als eine der besten seiner gesamten Karriere gewürdigt wird11, seinen Status als einer der größten Filmstars der 1950er und 1960er Jahre. Vor den Dreharbeiten setzte Douglas durch, dass die von ihm gespielte Figur des Colonels, im Unterschied zur Romanvorlage, gänzlich ins Zentrum der Verfilmung gerückt werden sollte. Dies schlägt sich in mehrerlei Details nieder – von den mit weitem Abstand meisten Nahaufnahmen, bis hin zur Einlösung des ungeschriebenen Gesetzes, „that virtually every one of his pictures after his breakthrough role in Champion [1949] had to contain a scene in which he takes off his shirt“12.

Freilich porträtiert Douglas in Paths of Glory einen Helden, der erst vor dem Hintergrund seiner Gegenspieler Mireau und Broulard wirklich zu glänzen weiß. Sie verkörpern den Typus skrupellos Soldatenleben „verheizender“ Weltkriegsgeneräle – eine aufgrund vorhandener historischer Vorbilder (erinnert sei nur an Robert Nivelle auf französischer und Erich von Falkenhayn auf deutscher Seite) durchaus nachvollziehbare, gleichwohl einseitige und klischeelastige Darstellung, auch wenn die Existenz verantwortungsbewusster und empathischer militärischer Befehlshaber im Ersten Weltkrieg von Kubrick nicht offen geleugnet wird. Zudem portraitierte der Regisseur die beiden Generäle, abgesehen von der ihren gemeinsamen Gewissen- und Skrupellosigkeit den eigenen Truppen gegenüber, als ein durchaus ungleiches Duo: Während Mireaus Motive allein auf die ihm in Aussicht gestellte militärische Rangerhöhung zielen, möchte Broulard durch den Angriff auf den „Ant Hill“ in erster Linie den eminenten Druck abdämpfen, dem er infolge ausbleibender militärischer Erfolge von Seiten der französischen Öffentlichkeit und Politik ausgesetzt ist. Gemessen an Mireau beweist Broulard eine feinere Sensorik für politische Zusammenhänge und vermag dadurch innerhalb des Generalstabs selbst wie ein Politiker zu agieren. Für ihn ist die zum Scheitern verurteilte Offensive ein an der Heimatfront strategisch notwendiges Ablenkungsmanöver, für das er Mireaus Ehrgeiz als ein „Mittel zur öffentlichen Selbstlegitimation“13 geschickt auszunützen versteht. Gleichwohl wollte Kubrick die Figur Mireaus nicht als extremen Pol einer pauschalen Gut-Böse-Dichotomie zwischen Befehlshabern und Truppe verstanden wissen. Mireau, so betonte er, habe man sich nicht einfach als einen intriganten, durchtriebenen Bösewicht vorzustellen, sondern als extrem ehrgeizigen, ebenso stolzen wie eitlen Militär, der niemals an der Aufrichtigkeit seiner eigenen Worte zweifelt – „no matter how cliche-ridden it may sound, and no matter how blantly cruel and selfish it may seem“14.

Hinter allen Ränkespielen stehen als entscheidender Katalysator der Handlung und eigentlicher Gegenstand des Films die Eigendynamik und inneren Gesetzmäßigkeiten jenes strukturell und emotional verhärteten Militär-Systems, dem alle Protagonisten unabhängig von ihrem militärischen Rang unterworfen sind. Weite Teile der Handlung sind hierdurch gleichsam vorprogrammiert, die zum Tode verurteilten Soldaten, wie es Kubrick formulierte, „doomed from the start“15. Diesen Fatalismus unterstrich Kubrick durch eine durchdachte Schnitttechnik, die das Ende einzelner Handlungsstränge ersatzlos überspringt. So zeigt der Film etwa detailliert die Gerichtsverhandlung gegen die drei angeklagten Soldaten und ihre Verteidigung durch Dax, das richterliche Urteil spart er jedoch gänzlich aus, da dessen Inhalt dem Publikum bereits im Voraus klar geworden sein muss. Ellipsen wie diese, „die Unnötiges, weil Feststehendes auslassen“16, vermindern wohlgemerkt nicht die Nachvollziehbarkeit der Handlung, sondern lenken den „Blick von den ‚offiziellen‘ Ereignissen auf [deren] ‚inoffizielle‘ Ursachen“17. Innerhalb einer starren Hierarchie, in der sich „Glaubwürdigkeit […] nach Rangabzeichen“ bemisst und „Formalien […] Akte der Willkür“18 maskieren, wird die Verantwortung für jedweden Misserfolg automatisch nach unten delegiert. Zu einem weiteren Kernelement des Films wird dadurch die Manipulation von Untergebenen durch ihre jeweiligen Vorgesetzten: Der Film zeigt eine Realität, in der „die Mächtigen die Untergebenen zu Schachfiguren degradieren, in der aber auch jeder, der in der Hierarchie weiter oben steht, mit dem Wissen leben muss, selbst nur Schachfigur zu sein“19. In Paths of Glory ist Feindschaft letztlich weniger eine Nationalitätenfrage, der Frontverlauf zieht sich vielmehr quer durch die eigenen Reihen. Die Ohnmacht der Protagonisten am unteren Ende der Hierarchie verdichtet sich dabei in vielen Dialogen. Besonders eindrücklich ist eine Reaktion des Lieutenant Roget auf die berechtigte und nachvollziehbare Androhung eines (namenlosen) Soldaten, ihn wegen grober Verletzungen seiner Dienstpflichten anzeigen zu wollen. Ebenso arrogant wie unaufgeregt kann Roget dieses Ansinnen im Keim ersticken indem er ausführt: „Have you ever tried to bring charges against an officer? It's my word against yours, you know, and whose word do you think they're gonna believe? Or, let me put it another way: Whose word do you think they're going to accept?

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Paths of Glory stieß in der englischsprachigen Presse auf ein überwiegend positives Echo. Der schon erwähnte Kritiker der New York Times lobte den Film im Ganzen als couragierte Adaption einer Thematik, die schon seit 20 Jahren ein „hot potato in Hollywood“20 gewesen sei. Variety hob – neben den hervorragenden schauspielerischen Leistungen – die kompromisslose und nichts beschönigende Realitätsnähe von Paths of Glory besonders hervor. Die britische Zeitschrift Time and Tide feierte ihn wiederum als den aufrichtigsten und technisch brillantesten Hollywoodfilm seit Beginn der 1950er Jahre.21 Und kein Geringerer als Winston Churchill, der im Ersten Weltkrieg als Oberstleutnant ein Bataillon der englischen Armee befehligt und Fronterfahrung gesammelt hatte, äußerte sich ausgesprochen positiv. Kein Film, so der ehemalige Premierminister, habe die Stimmung des Ersten Weltkriegs präziser und treffender eingefangen als Paths of Glory22.

Auf dem europäischen Festland stieß Kubricks Werk hingegen auf starken Widerstand. Im französischen Sektor Berlins entließen stationierte französische Soldaten und Offiziere bei der Filmpremiere zwar keine weißen Mäuse im Kino, warfen jedoch Stinkbomben und Knallfrösche unter die Zuschauer, wodurch sie erfolgreich einen Abbruch der Aufführung provozieren konnten. Der französische Stadtkommandant General Amédée Gèze verbot fünf Tage später gar jegliche Aufführung des Films in verschiedenen Stadtbezirken, was der damals regierende Bürgermeister von Berlin, Willy Brandt, als einen „Rückschritt in das Jahr 1948“23 brandmarkte – anspielend auf den völkerrechtlichen Status Deutschlands vor der Gründung der Bundesrepublik und der Verabschiedung des Besatzungsstatuts im Jahr 1949. Darüber hinaus verhinderte Gèze die Vorführung des Films bei den Internationalen Filmfestspielen in Berlin24. In Frankreich selbst wurde Paths of Glory erst 1975 uraufgeführt; zuvor hatte der Film aufgrund der durch den Algerienkrieg aufgeheizten politischen Atmosphäre keine Chance zur Aufführung gehabt.

Doch Zensurfälle blieben beileibe nicht auf Frankreich beschränkt. Aufgrund diplomatischer Erwägungen blieb Paths of Glory bis 1971 auch in Israel verboten. In Italien wiederum beschwor der Film „in zahlreichen Städten Demonstrationen“ herauf, während er in einem Brüsseler Kino „nach Protesten belgischer Veteranen (dauerhaft) abgesetzt“ 25 wurde. „Even the Swiss", so vermerkte Kirk Douglas süffisant in seiner Autobiographie The Ragman's Son (1988), "were not neutral on Paths of Glory“26. In der Tat verbot der Schweizer Bundesrat schon 1958 den Film, nachdem die Bundesanwaltschaft zuvor den Verleih bereits dazu aufgefordert hatte, „alle Kopien außer Landes zu bringen“, andernfalls „würden sie vernichtet“27 werden.

Über die Ursachen dieses länderübergreifenden Widerstands gegen Paths of Glory lässt sich streiten. Neben diplomatischen Rücksichtnahmen und Empfindlichkeiten spielte hier gewiss eine Rolle, dass der Film das Militärwesen generell angreift – unabhängig von einzelnen Nationalitäten und Armeen. Darum konnten sich auch außerhalb Frankreichs Bevölkerungskreise direkt angesprochen und persönlich attackiert fühlen, die – im Gegensatz zu dem erst 1928 geborenen „Grünschnabel“ Kubrick – als Soldaten des Ersten oder Zweiten Weltkriegs gekämpft und in persönlicher Beziehung zur militärischen Welt gestanden hatten. Hinzu kommt, dass das Militär Mitte der 1950er Jahre in vielen Ländern noch einen erheblich höheren gesellschaftlichen Stellenwert genoss, als dies heute der Fall ist, und vor dem Hintergrund des Kalten Krieges nicht ohne Grund als wesentlicher Garant politischer Freiheitsrechte angesehen wurde.

Einleitend war bereits die Rede von möglichen Analogien zwischen Paths of Glory und Im Westen nichts Neues sowie von ihrer fraglichen Aussagekraft. Kubrick, so lässt sich bilanzieren, handelt in seinem Film gerade nicht über die Sinnlosigkeit und Verwerflichkeit des Kriegs, sondern über die Kontaminierung hierarchischer Strukturen durch eine Mischung aus gezielter Manipulation, übersteigertem Ehrgeiz und völliger Ohnmacht an der Basis. Eine „moralische Geste oder ein Aufschrei des Mitgefühls“28 wie Im Westen nichts Neues ist Paths of Glory im Kern jedenfalls nicht: Spätestens die Schlussszene des Films, in der die einfachen, zuvor geschundenen Soldaten gleichsam von Opfern zu Tätern gegenüber einer im Machtgefüge noch unter ihnen rangierenden Figur werden, unterstreicht die moralische Zwiespältigkeit aller Handlungsträger des Films.





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Auswahlbibliographie

  • Baxter, John, Stanley Kubrick. A biography, New York 1997.
  • Castle, Alison (Hg.), The Stanley Kubrick archives, Köln 2005.
  • Douglas, Kirk, The Ragman’s Son. An autobiography, New York [u.a.] 1988, S. 273-286.
  • Falsetto, Mario, Stanley Kubrick. A narrative and stylistic analysis, 2. überarb. ü. erw. Aufl., Westport 2001, S. 38-41.
  • Fischer, Ralf Michael, „A pleasant atmosphere in which to work”. Wechselwirkungen zwischen Schein und Sein im filmischen Raum von Stanley Kubricks Paths of Glory (USA 1957), in: Marburger Jahrbuch für Kunstwissenschaft 32 (2005), S. 271-312.
  • Haas, Christoph, Die Logik des Wahns: Paths of Glory (1957), in: Beier, Lars-Olav u.a. (Hg.), Stanley Kubrick (Film Bd. 8), Berlin 1999, S. 75-88.
  • Howard, James, Paths of Glory, in: Ders.: The Stanley Kubrick companion, London 1999, S. 55-62.
  • Naremore, James, On Kubrick, London 2007.
  • Philips, Gene D. (Hg.), Stanley Kubrick Interviews, Jackson 2001.
  • Roth, Wilhelm, Generäle und Zensoren. Paths of Glory und die Spiele der Macht, in: Kinematograph 19 (2004), S. 45-55.
  • Seeßlen, Georg und Jung, Fernand, Stanley Kubrick und seine Filme, Marburg 2001, insb. S. 9-25 u. 100-107.
  • Thomas, Tony, The films of Kirk Douglas, 2. überarb. u. erw. Aufl., New York 1991, S. 144-149.


Anmerkungen

1 Fischer, Wechselwirkungen, S. 273.
2 Vgl. Castle, Archives, S. 309.
3 Crowther, Bosley, Shameful Incident of War. Paths of Glory has premiere at Victoria. Kirk Douglas stars in film of Cobb Book, in: New York Times vom 26. Dezember 1957.
4 Vgl. Castle, Archives, S. 309.
5 Fischer, Wechselwirkungen, S. 302.
6 Das Budget des Films war auf etwa 900.000 Dollar bemessen. Douglas hatte für sich eine Gage von 350.000 Dollar ausgehandelt, inkl. Reisen erster Klasse für sich und seine Familie. Vgl.: Baxter, Kubrick, S. 93.
7 Vgl. Falsetto, Kubrick, S. 40.
8 Baxter, Kubrick, S. 101.
9 Roth, Generäle, S. 48.
10 Fischer, Wechselwirkungen, S. 289.
11 Vgl. bspw. Thomas, Films, S. 149.
12 Vgl. Naremore, Kubrick, S. 85.
13 Fischer, Wechselwirkungen, S. 292.
14 Zitiert nach: Naremore, Kubrick, S. 93.
15 Zitiert nach: Baxter, Kubrick, S. 101.
16 Fischer, Wechselwirkungen, S. 273.
17 Ebd.
18 Ebd., S. 272.
19 Haas, Logik, S. 85f.
20 Vgl. Anmerkung 3.
21 Originalzitate in: Howard, Paths, S. 60. Vgl. auch den Auszug aus der Besprechung in Variety.
22 Vgl. Baxter, S. 101.
23 Zitiert nach: Roth, Generäle, S. 53.
24 Kirk Douglas erhielt 2001 den Goldenen Ehrenbären. Als Hommage wurde Paths of Glory zum ersten Mal auf der Berlinale vorgeführt.
25 Roth, Generäle, S. 51.
26 Douglas, Son, S. 282.
27 Roth, Generäle, S. 54
28 Seeßlen/Jung, Kubrick, S. 106.



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