Mittwoch, 18. Juli 2007

If you prick us, do we not bleed?

Ein Beitrag von Dr. Sven Keller, München

To Be or Not To Be (Sein oder Nicht Sein), 1942
von Ernst Lubitsch, nach einem Drehbuch von Edwin Justus Meyer, nach dem Theaterstück "Noch ist Polen nicht verloren" von Melchior Lengyel, mit Carole Lombard, Jack Benny, Robert Stack und anderen


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If you tickle us, do we not laugh?
If you poison us, do we not die?
And if you wrong us
shall we not revenge?
William Shakespeare, The Merchant of Venice,
Act III, Scene 1

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Sommer 1941: Das Deutsche Reich hatte in einer Reihe von Blitzkriegen halb Europa erobert. Der Überfall auf die Sowjetunion hatte gerade begonnen, und die Wehrmacht war auf dem Weg nach Moskau. Als erstes Land war Polen schon 1939 – also fast zwei Jahre zuvor – Hitlers Rassen- und Weltanschauungskrieg im Osten zum Opfer gefallen, und die Nachrichten, die aus dem besetzten Land nach außen drangen, waren mehr als schrecklich. Hitler war dem Sieg näher als der Niederlage. Dies ist die weltpolitische Situation, in der Ernst Lubitsch zusammen mit Edwin Meyer das Buch zu seinem Film Sein oder Nichtsein schrieb. Die Dreharbeiten begannen am 6. November 1941 und endeten 42 Drehtage später am 23. Dezember. In diesen sieben Wochen hatten die Japaner Pearl Harbor angegriffen; die USA waren in den Krieg eingetreten, und das NS-Regime hatte endgültig die Weichen für die Ermordung aller Juden in Europa gestellt.

In dieser Zeit also drehte Ernst Lubitsch einen Film, der – soviel sei vorweggeschickt – im besetzten Polen spielt und den Überlebenskampf des polnischen Widerstandes gegen die Gestapo thematisiert. Dieser Film gehört unter den gegebenen Umständen einem Genre an, das auf den ersten Blick wohl als das unwahrscheinlichste, vielleicht sogar unpassendste aller Genres erscheint: Lubitsch drehte eine Komödie.
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Zumindest war Lubitsch in diesem Fach zu Hause: 1892 als Sohn jüdischer Eltern in Berlin geboren, hatte er seinen Vater enttäuscht, der gehofft hatte, Ernst würde die gut gehende elterliche Tuchhandlung übernehmen. Statt dessen wandte dieser sich dem Theater zu, und – trotz der Prophezeiung des Vaters, „mit dem Gesicht“ werde er auf der Bühne niemals Erfolg haben – fand er dort in dem großen Max Reinhardt am Deutschen Theater einen einflussreichen Förderer. Bald wandte er sich, zunächst als Darsteller, dem Film zu, wechselte jedoch bald hinter die Kamera und arbeitete als Regisseur. 1923 ging Lubitsch nach Hollywood und wurde dort zu einem der gefragtesten und erfolgreichsten Regisseure – sowohl in der Stummfilm- als auch in der bald anbrechenden Tonfilmära. Sein unbestreitbares Talent lag dabei in der Komödie: Sein Markenzeichen war der bald sprichwörtliche „Lubitsch Touch“: Raffinesse, Stil, Subtilität, Timing, Ungeniertheit – und nicht zuletzt ein Zug ins zwischengeschlechtlich-sexuelle kennzeichneten Lubitschs Witz.
Doch war es möglich, das furchtbare Geschehen in Polen zum Gegenstand einer Leinwand-Komödie zu machen? Als der Film am 6. März 1942 in die amerikanischen Kinos kam, waren die Reaktionen der Kritiker gespalten. Die Mehrheit lehnte den Film mit ganz ähnlichen Argumenten ab, die schon bei Chaplins „Der große Diktator“ zwei Jahre zuvor die Debatte beherrscht hatten: Die Darstellung des Nationalsozialismus in wie auch immer geartetem humoristischem Kontext verharmlose den Nationalsozialismus und verhöhne die Opfer. Eine Farce vor der Kulisse des zerstörten Warschau zu inszenieren zeuge „von allerschlechtestem Geschmack“, so eine Kritikerin, und eine andere war der Ansicht, dass man über den Großen Diktator im fiktiven Tomanien ja noch lachen könne, über Hitler, die Gestapo und die entsetzlichen Verbrechen im besetzten Polen aber keinesfalls. Den Gipfel – oder besser den Tiefpunkt – erreichte die Kritik jedoch zweifelsohne im New Statesman. Dort konnte Roger Manvell keinerlei Verständnis für Witze aufbringen, die mit Konzentrationslagern in Polen zusammenhingen. „Especially inexcusable“ fand er dabei, dass sich mit Lubitsch ausgerechnet ein Deutscher solche Witze erlaube.

Dass Lubitsch Jude war und damit nicht den Tätern, sondern den Opfern nahe stand, übersah Manvell geflissentlich. Und tatsächlich war Lubitsch zu diesem Zeitpunkt seit Jahren nicht einmal mehr Deutscher: 1935 hatte ihm das Deutsche Reich mittels der Nürnberger Gesetze ganz offiziell die Mitgliedschaft in der Volksgemeinschaft in Form der deutschen Staatsbürgerschaft entzogen. Mehr noch: Das Regime stilisierte Lubitsch zu einem Propaganda-Zerrbild sog. „entarteter“ jüdischer Filmkunst, das in dem Machwerk „Der Ewige Jude“ gipfelte, in dem sich Lubitsch ebenso wie „der Jude Chaplin“ wieder finden musste.

Lubitsch war also Jude, und sein Humor wurzelte ganz ohne Zweifel zu einem guten Teil in seiner Abstammung, ein Humor, den man – ohne in Stereotype zu verfallen – mit dem Etikett des „jüdischen Witzes“ versehen kann. Dabei zeichnet sich der „jüdische Witz“ durch eine besondere Tiefe und Feinsinnigkeit aus; gleichzeitig eignen ihm Bitterkeit und Schärfe. Er ist dichter, dichterischer als der Witz anderer Völker, und er ist nicht nur Witz um der humoristischen Pointe, um des Lachens willen; er enthält immer auch Kritik an den Verhältnissen, sei sie nun religiös, politisch oder sozial motiviert. Vor dem Hintergrund der durch Jahrhunderte von Diaspora und Verfolgung geprägten Geschichte des Volkes Israel kann man diese besondere Form des Witzes mit Fug und Recht als eine Form des Selbstschutzes, ja als geradezu unentbehrliche Waffe eines Jahrhunderte lang sonst waffen- und wehrlosen Volkes interpretieren.
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Diese Waffe schärfte Ernst Lubitsch mit seinem Film gegen Hitler und den Nationalsozialismus, und an dieser Stelle ist nun doch ein kleiner Abriss der Handlung angebracht: Ernst Lubitschs „Sein oder Nichtsein“ handelt von einer Gruppe polnischer und polnisch-jüdischer Schauspieler, die sich als Gestapobeamte – und nicht zuletzt als Hitler – verkleiden, um sowohl ihr eigenes Leben als auch das der polnischen Untergrundkämpfer in Warschau zu retten.

Besagte polnische Theatergruppe – das Ensemble des Theaters Polski in Warschau – probt gerade ein zeitkritisches Stück, das sich mit dem Nationalsozialismus auseinandersetzt und den Namen „Gestapo“ trägt. Abends platzt dann mitten in eine Hamlet-Aufführung der deutsche Überfall auf Polen. Die dramaturgische Zuspitzung ist hier wichtiger als die historisch korrekte Wiedergabe des Kriegsbeginns in der Morgendämmerung.

Die Stars der Theatertruppe sind – unbestritten? – der große Joseph Tura und seine schöne Frau Maria, die einander in ebenso herzlicher Konkurrenz wie Liebe verbunden sind. Dennoch ist Maria Tura dem Tête-à-tête mit einem stürmischen Verehrer nicht gänzlich abgeneigt – zu sehr schmeichelt die Aufmerksamkeit des jungen Fliegerleutnants Stanislav Sobinski ihrer Eitelkeit. Als der Krieg ausbricht, geht Sobinski nach London und fliegt mit seinen Kameraden in der polnischen Staffel der britischen Luftwaffe. Bald jedoch kehrt er nach Warschau zurück, in Verfolgung des Professors Siletsky, der für die Deutschen spioniert und eine Liste mit den Namen der Angehörigen der polnischen Piloten der Warschauer Gestapo übergeben will – auf der auch der Name Maria Turas steht.

In Warschau bleibt der Schauspielgruppe schließlich nichts anderes übrig, als zusammen mit Sobinski auf jeden Fall zu verhindern, dass der Spion Siletsky die Liste an Gestapo-Chef Erhardt übergeben kann. Joseph Tura spielt Erhardt, Siletsky wird ausgeschaltet und Tura übernimmt auch dessen Rolle; der ewige Statist Bronski wird zu Hitler, und sein nicht minder verkannter Kollege Grünberg spielt als Shylock des polnischen Untergrunds die Rolle seines Lebens.

Dass innerhalb der Handlung mit Ausnahme der Nazis immer alle auch um ihr Leben spielen, verliert Lubtisch nie aus den Augen – und so liegt letztlich der todernste Kern der Komödie zu jeder Zeit offen zu Tage. Die Gestapo-Schergen und die tödliche Gefahr, die von ihnen ausgeht, werden nicht unterschätzt. Sehr wohl aber werden sie der Lächerlichkeit preisgegeben, und gerade vor der Kontrastfolie ihres Führergehorsams, ihres Devotismus, ihrer alltäglichen Feigheit – ja, ihrer ganzen Erbärmlichkeit tritt die Tatsache um so schärfer hervor, dass sie letztlich doch über Leben und Tod entscheiden, dass das Töten ihr tägliches Geschäft ist.

Gleichzeitig bleiben auch die Helden von Schwächen nicht verschont, auch wenn es sich hier um menschlichere Schwächen handelt. Wenn es zählt, halten sie zusammen, doch Eifersucht, Eitelkeit bis zum Narzissmus oder schlichte Unfähigkeit sind dieser Schauspieltruppe alles andere als fremd. Diese allzumenschlichen Schwächen sind es, an der Lubitschs Humor ansetzt und der seine Protagonisten immer wieder zur Improvisation, ja beinahe zum Hasardismus zwingt, wenn es gilt, die Situation zu retten. Dies gilt wie für keine zweite für die Figur des Joseph Tura, auf dem die Hauptlast des Rollentausches liegt, der aber gleichzeitig das Unternehmen durch seine Eitelkeit und seine Eifersucht mehr als einmal an den Rand des Scheiterns bringt.
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Abschließend noch ein paar Worte zur komischen Dramaturgie von „Sein oder Nichtsein“: Explizit erwähnen möchte ich zunächst etwas, was auch angesichts der Plotbeschreibung fast offensichtlich scheint: Das Theater spielt eine zentrale Rolle für Lubitschs Komik. Immer wieder verwischt er die Grenzen zwischen Theater und Film, Theater und filmischer Realität und Theater und außerfilmischer Realität: Etwa, wenn ganz zu Anfang des Films der Zuschauer geschickt in die Irre geführt wird, indem er seine Protagonisten in der filmischen Realität Theater spielen lässt oder den Sprecher aus dem Off den Kriegsausbruch mit Theatermetaphern kommentieren lässt. Auch in der Dramaturgie des Films sind Anlehnungen an das Theater unübersehbar: Achten sie auf die großen Auftritte und Abgänge, mit denen die Schauspieler ihre jeweilige „Bühne“ verlassen.

Auf die für Lubitschs Komik mehr als genug Anknüpfungspunkte bietenden Persönlichkeitsstrukturen der Charaktere – allen voran Joseph und Maria Turas – habe ich schon hingewiesen. Zusammen mit Leutnant Sobinski bilden sie ein geradezu klassisches Komödien-Dreieck aus Mann, Ehefrau und deren Verehrer, das immer wieder Anlass zu Dialoggefechten bietet. Wie sehr Maria Tura ihrem Mann eigentlich überlegen ist! Geradezu systematisch untergräbt sie das Selbstbewusstsein ihres narzisstischen, nach Anerkennung heischenden Mannes, nur um ihn dann wieder aufzubauen und ihn geradezu in Abhängigkeit zu halten. Doch auch Maria ist alles andere als gefeit gegen die kleinen und großen Eitelkeiten, mit denen Lubitsch nicht zuletzt die Schauspielerzunft gehörig persifliert.

Ebenso wichtig ist der running gag, der immer wiederkehrende Witz, und dass die Verkleidung als komisches Element eine wichtige Rolle spielt, ergibt sich fast schon aus dem bisher gesagten; dass Bärte in dem Film eine wichtige Rolle spielen, sei noch hinzugefügt – immerhin ist dies ein Film über den Nationalsozialimsus und ein wenig auch über Hitler.

So geht es – und damit komme ich zum Schluss – in Lubitschs Komödie in mehrfacher Hinsicht um Sein oder Nichtsein: Da ist der Hamlet’sche Monolog, der mehrfach zu seinem Recht kommt. Da ist das zentrale komische Element von Lubitschs Film, das Spannungsverhältnis von Sein und Schein. Und, da ist, nicht zuletzt, die ganz elementare und existentielle Frage nach Leben oder Tod. Ganz ohne Zweifel ist Lubitsch mit „Sein oder Nichtsein“ eine Meisterleistung gelungen: Sie findet ihren Ausdruck in der an vielen Stellen fast atemberaubenden Gleichzeitigkeit aus einem bis zum gezielten Tabubruch reichenden Zynismus, aus Ironie und Sarkasmus einerseits und einer großen Ernsthaftigkeit andererseits. Lubitsch ist die Gratwanderung gelungen, die eine Komödie zu diesem Thema immer auch sein muss,. Sein Film ist nicht zuletzt ein Plädoyer für den Humor als einen wichtigen Teil einer Kampf-, Widerstands- und schließlich Überlebensstrategie.



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Ausgewählte Literatur:
  • Barnes, Peter, To Be or Not to Be, London 2002.
  • Ernst Lubitsch. Kurzbiographie und Filmographie auf der Internetseite des Deutschen Filminstituts.
  • Eyman, Scott, Ernst Lubitsch: Laughter in Paradise, Baltimore 2000.
  • Krätzig, Silke, Komik und Nationalsozialismus bei Lubitsch und Benigni, Erlangen-Nürnberg, Univ., Magisterarbeit 2002.
  • Prinzler Hans-Helmut, Enno Patalas (Hrsg.): Lubitsch. Katalog zur Retrospektive Berlin 1984, München und Luzern 1984.
  • Weinberg, Herman G., The Lubitsch Touch. A Critical Study, New York 1968.
  • Datensatz „To Be or Not To Be”, in: Cinematography of the Holocaust, hg. vom Fritz Bauer Institut.


1 Kommentar:

Unknown hat gesagt…

Eine wunderbare Rezension eines wunderbaren Films, meines seit vielen Jahren Lieblingsfilms.