Donnerstag, 21. Mai 2009

„Gnade Gott meinen Feinden, ich will sie erbarmungslos zertreten.“

Ein Beitrag von Dr. Markus Seemann, Augsburg/Aurich

„Carl Peters“ – D 1940/41
Deutschland, 1940/41, 121 min. – Regie: Herbert Selpin – Drehbuch: Ernst von Salomon, Walter Zerlett-Olfenius, Herbert Selpin – Produktion: Bavaria Filmkunst – Musik: Franz Doelle – Kamera: Franz Koch – Darsteller: Hans Albers, Karl Dannemann, Fritz Odemar.

Der Film „Carl Peters“ von Herbert Selpin mit Hans Albers in der Hauptrolle von 1940/41 ist dem wohl prominentesten deutschen Kolonialpionier gewidmet. Auf der Ostseeinsel Rügen sowie in den Barrandow-Ateliers bei Prag wurde eine Szenerie erzeugt, in der, nicht zuletzt mit Hilfe von farbigen französischen Kriegsgefangenen als Komparsen, das 1918 verloren gegangene Schutzgebiet Deutsch-Ostafrika für den Kinobesucher in neuem Glanz erstehen konnte. Der Film gibt Anlass für eine Annäherung an eine vieldeutige Persönlichkeit der deutschen Kolonialgeschichte. Schon für seine Zeitgenossen diente Carl Peters (Porträt) als Projektionsfläche, die verschiedenste Einordnungen zuließ. Der Film aus dem zweiten Kriegsjahr des Zweiten Weltkriegs stellt ein spätes Beispiel nationalsozialistischer Kolonialpropaganda dar, Deshalb muss der Wahrheitsgehalt und die Quellenbasis des Films differenziert betrachtet werden: Ungenauigkeiten und Abweichungen vom realen Geschehen sind hier nicht nur als Ausdruck filmisch-künstlerischer Freiheit zu verstehen, sondern nähren der Verdacht bewusster Verfälschung der Geschichte zu politischen Zwecken.


Erzieher, Mörder, Psychopath

Das Meinungsspektrum über die Persönlichkeit des Protagonisten Carl Peters (1856-1918) ist breit gefächert. Otto von Bismarck hielt ihn schlicht für einen Phantasten mit „Mangel an Augenmaß für praktische Möglichkeiten.“1 In der sozialdemokratischen Presse und darüber hinaus war er um die Jahrhundertwende als „Hänge-Peters“ und „feiger Mörder“ bekannt.2 In Ostafrika nannte man ihn auf Suaheli „Mkono wa Damu“, zu Deutsch der „Mann mit den blutigen Händen“.3 Zahlreiche Anekdoten ranken sich um seine Person: Der Münchner Malerfürst Franz von Lenbach zeigte sich angeblich beim Versuch ihn zu porträtieren erschrocken über den „Raubvogelkopf“ und seinen „grausige[n] Blick“.4 Sein Speisezimmer, so berichtet ein Besucher, sei mit Speeren ausstaffiert gewesen, die nur von Afrikanern stammten, die er persönlich „bei verschiedenen Gelegenheiten totgeschossen“ habe.5 Der Historiker Hans-Ulrich Wehler schließlich charakterisiert Peters als „erfolgsarmen, gerichtsnotorisch kriminellen Psychopathen.“6

Für Theodor Leutwein hingegen, der als Gouverneur von Deutsch-Südwestafrika eine vergleichsweise konziliante Kolonialpolitik betrieb, war Peters „der hochstrebendste unserer kolonialen Bahnbrecher“, der nur „durch kleinlichen Hass seiner Gegner und hässlichen Undank des deutschen Volkes“ aus Deutschland vertrieben worden sei.7 Als „Erzieher“ und „neuer deutscher Lebenstyp“ im Sinne Friedrich Nietzsches wurde er in einer Biographie von 1920 bezeichnet,8 und in einem „Geschichtsbuch für die deutsche Jugend“ von 1941 ist zu lesen: „Bismarck sah Deutschlands Stellung in Europa, der Hanseate Karl Peters sah die Welt.“9

Neben all diesen Zuschreibungen soll an dieser Stelle nicht unterschlagen werden, dass Carl Peters unter anderem Historiker war. Nach Studien in Göttingen, Tübingen und Berlin wurde der niedersächsische Pastorensohn 1880 mit einer Arbeit über den Frieden von Venedig 1177 promoviert, für deren Anfertigung er angeblich ganze zehn Wochen benötigt hatte.10 Trotz Oberlehrerexamen für Geschichte und Geographie und späterer Habilitation an der Universität Leipzig zog es Peters aber nicht in die Gelehrtenstube, sondern hinaus in die weite Welt. Nach einem dreijährigen Aufenthalt bei seinem Onkel in London sah er die Zukunft für sich und sein deutsches Vaterland in Afrika. Er gründete die „Gesellschaft für deutsche Kolonisation“ und die „Deutsch-Ostafrikanische Gesellschaft“; die Entstehung des Alldeutschen Verbands ging ebenso auf seine Initiative zurück.


Die Gründung von Deutsch-Ostafrika

Mehr oder minder auf eigene Faust und mit nur drei Begleitern, seinem Schulfreund Carl Jühlke (1856-1886), dem Afrikaforscher Graf Joachim von Pfeil (1857-1924) und dem Kaufmann August Otto, machte sich der 28-jährige Peters 1884 auf den Weg nach Ostafrikay. Dort schloss er Schutzverträge mit mehreren Häuptlingen ab – meist mit Hilfe von Geschenken und reichlich Alkohol. Innerhalb von nur sechs Wochen hatte die Deutsch-Ostafrikanische Gesellschaft ein Kolonialgebiet erworben, das mit 140 000 Quadratkilometern in etwa der Fläche Dänemarks, der Beneluxstaaten und der Schweiz zusammengenommen entsprach (Karte). Bei der Reichsleitung war man ob dieser Erwerbung allerdings zunächst einmal skeptisch. „Der Erwerb von Land ist in Ostafrika sehr leicht“, gab Bismarck zu bedenken, „für ein paar Flinten besorgt man sich ein Papier mit einigen Negerkreuzen.“11 Gesichert werden könne das Land nur im Übereinkommen mit den europäischen Rivalen – was letztlich erst unter Bismarcks Nachfolger Leo von Caprivi 1890 im „Helgoland-Sansibar-Vertrag“ geschehen ist.

Für die Verwaltung der neuen Territorien erwies sich Peters als wenig geeignet. Auf Druck Bismarcks wurde er im April 1889 aus der Deutsch-Ostafrikanischen Gesellschaft entfernt, nachdem diese durch unprofessionelle Geschäftsführung und Misswirtschaft in die Schlagzeilen geraten war. Eine indirekte Folge war, dass sich Bismarcks ursprünglich anvisiertes Kolonialsystem nach britischem Vorbild, nach dem das Reich lediglich den Schutz für privatwirtschaftliche Kolonialgesellschaften gewähren sollte, ohne Militär und Beamte in nennenswertem Umfang nach Afrika zu schicken, als unhaltbar erwies. Anstelle eines von ihm erhofften Postens an der Spitze der neu zu errichtenden Kolonialverwaltung wurde Peters 1891 nur zum Reichskommissar für das Kilimandscharogebiet (Foto) berufen. Kolonialpolitik bezeichnete er selbst treffend als „die rücksichtslose und entschlossene Bereicherung des eigenen Volkes auf anderer schwächerer Völker Unkosten“.12 Von „Humanitätsduselei“ hielt er wenig. „Leider führt mein Weg über Leichen“, gab Peters unumwunden zu und drohte: „Gnade Gott meinen Feinden, ich will sie erbarmungslos zertreten.“13


Fall und Rehabilitierung

Zum Skandal um seine Person kam es 1896, als in Deutschland aufgrund einer Intervention des Reichstagsabgeordneten und Mitgründers der SPD, August Bebel, bekannt wurde, dass Peters am Kilimandscharo eigenmächtig zwei seiner farbigen Hausangestellten durch den Strang vom Leben zum Tode befördert hatte. Trivialer Hintergrund: Peters war eifersüchtig auf seinen Diener Mabruk, nachdem er festgestellt hatte, dass dieser ein Verhältnis mit seiner Konkubine Jagodja hatte. Peters versuchte nun den Mord an seiner Geliebten und deren Liebhaber als Maßnahme gegen eine Konspiration und für die Aufrechterhaltung der Sicherheit der Station und der dort lebenden Deutschen zu rechtfertigen. Dies konnte aber nicht verhindern, dass er bei der Reichsleitung in Ungnade fiel. Wenngleich er strafrechtlich nie belangt wurde, verlor er doch seinen Posten in der Kolonialverwaltung durch ein Urteil des Kaiserlichen Disziplinarhofs für die Schutzgebiete. In der Öffentlichkeit war er bald unter dem Spottnamen „Hänge-Peters“ bekannt, und auch in Kolonialkreisen scheute man sich nicht, sich von einer Kolonialherrschaft im Stile Peters’ – zumindest rhetorisch – klar abzugrenzen. Dass Peters eine Ausnahmeerscheinung des deutschen Kolonialismus darstellt, lässt sich aufgrund der kolonialhistorischen Forschung eher bezweifeln. Rassistisches Denken und Handeln, Ausbeutung und willkürliche Gewaltanwendung bis hin zu eigenmächtigen Todesurteilen dürften demnach eher charakteristische Merkmale als Auswüchse kolonialer Herrschaft gewesen zu sein. Der Bekanntheitsgrad des Kolonialisten Peters, in Deutschland wahrscheinlich nur vergleichbar mit den Generalen Lothar von Trotha und Paul von Lettow-Vorbeck, ist nicht zuletzt auch eine Folge seines eigenen Drangs, sich öffentlich in Szene zu setzen.

Den Gedanken, in die Politik zu gehen, hatte Peters nach einer gescheiterten Reichstagskandidatur für die Nationalliberalen schnell wieder aufgegeben. Er verließ Deutschland nach seiner Suspendierung, lebte meist in London, verfasste Bücher, unternahm Reisen nach Afrika und beteiligte sich an einer britischen Gesellschaft zur Ausbeutung von Goldlagerstätten in Südafrika. Ein Angebot, in britische Kolonialdienste einzutreten, lehnte er allerdings ab. Erst bei Ausbruch des Ersten Weltkrieges kehrte er in seine Heimat zurück, wo er noch vor Kriegsende starb. Seinen früheren Verfehlungen in Ostafrika stand das Reich zunehmend milder gegenüber: Seit 1905 durfte er wieder den Titel eines Reichskommissars a. D. tragen, 1914 gewährte ihm Wilhelm II. eine Pension.

Das disziplinargerichtliche Urteil gegen ihn wurde im Übrigen 1937 durch Adolf Hitler aufgehoben. Carl Peters hatte nach seinem Tod wieder deutlich an Popularität gewonnen – wenngleich diese selbst in Kolonialkreisen aufgrund seiner allgemein bekannten Brutalität nicht unumstritten blieb. Aber er galt doch als der maßgebliche Begründer des deutschen Kolonialreichs, dessen Verlust seit dem Versailler Vertrag (v.a. Teil IV, Abschnitt 1)so schmerzlich bedauert wurde. Auch wenn die Nationalsozialisten ihren Expansionsdrang kaum auf den afrikanischen Kontinent richteten, die Figur Carl Peters’ eignete sich hervorragend, den Idealtyp des Führers zu verkörpern, der sich nicht durch Paragraphenreiterei, humanitäre Bedenken und ängstliche Vorbehalte von seinen Zielen abbringen ließ. Von diesem Gedanken beseelt, entstand 1940/41 der Peters gewidmete Spielfilm.


Fakten und Fiktion

Der Regisseur Herbert Selpin (1902-1942) hatte bereits mit „Die Reiter von Deutsch-Ostafrika“ 1934 Erfahrung mit dem Metier des Kolonialspielfilms gesammelt; auch sein Drehbuchautor Ernst von Salomon (1902-1972) – im Übrigen ehemaliger Freikorpskämpfer und an der Ermordung Walther Rathenaus beteiligt – griff das Thema Afrika in seinen ansonsten politisch weniger ambitionierten Drehbüchern wie „Kongo-Express“ (1939) oder „Liane das Mädchen aus dem Urwald“ (1956) immer wieder auf. Für die Hauptrolle konnte letztlich der damals bereits äußerst populäre Hans Albers (1891-1960) gewonnen werden; Peters erhielt somit ein beim Publikum weitaus sympathischeres Gesicht, als es noch Franz von Lenbach vor sich gehabt hatte. Albers galt laut Pressematerial der Bavaria-Filmkunst als „der ideale Darsteller des unerschrockenen, kämpferischen Menschen, in der Rolle des unbeugsamen deutschen Mannes, der sich gegen Willkür, Kleinmütigkeit und Intrigen durchsetzte.“14 Ein Kassenschlager wurde der Film trotzdem nicht – die aufwendigen Produktionskosten (was beim Sujet des Kolonialfilms nicht verwunderlich ist) konnten nicht eingespielt werden.

Seit 1945 zählt „Carl Peters“ in Deutschland zu den heute noch rund vierzig so genannten „Vorbehaltsfilmen“, die inzwischen unter der Kontrolle der Freiwilligen Selbstkontrolle (FSK) stehen und deren Aufführung nur im wissenschaftlichen Rahmen gestattet wird. Ausschlaggebend hierfür ist wohl weniger die zum Teil bewusst verfälschte und glorifizierende Darstellung der deutschen Kolonialherrschaft, als vielmehr die deutlichen antiparlamentarischen, antibritischen und antisemitischen Untertöne. Wenngleich das Wort „Jude“ im Film kein einziges Mal auftaucht, ist es bezeichnend, dass sich unter den Gegnern Peters’ im Film an erster Stelle ausgerechnet zwei Juden befinden. Zum einen ist hier der Kolonialdirektor Leo Kayser (Herbert Hübner) zu nennen, den Peters im Film spöttisch als „Herr Geheimrat vom Berge Sinai“ tituliert. Dabei handelt es sich eigentlich um Paul Kayser (1845-1898) – der Vorname galt den nationalsozialistischen Filmemachern aber wohl als zu wenig jüdisch. 1882 war der Jurist Kayser vom Judentum zur evangelischen Kirche übergetreten, seit 1885 im Auswärtigen Amt, leitete er dort von 1890 bis 1896 die weitgehend selbstständige Kolonialabteilung. Im Film werden alle Skepsis und Widerstände seitens der Reichsleitung, die sich gegen die eigenmächtigen Aktionen Peters’ erhoben, allein auf die Person Kaysers’ fokussiert. Demgegenüber sind Bismarck (Friedrich Otto Fischer) und ein wenig überzeugend dargestellter Kaiser Wilhelm I. (Rolf Prasch) als Fürsprecher Peters’ dargestellt.

Die klare ideologische Botschaft des Films ist also, dass das Kaiserreich zwar einzelne „Führer“-Persönlichkeiten wie Peters, Bismarck und Wilhelm I. vorzuweisen hatte, die auch dem Kinobesucher von 1941 noch als Vorbild dienen konnten, dass diese jedoch unter den politischen Umständen in der freien Entfaltung ihres Willens gehindert wurden und daher – zumindest im Falle Peters’ – scheitern mussten. Schuld daran seien Paragraphenreiterei, Bürokratismus und die Unterwanderung des Staates durch Juden und Sozialdemokraten gewesen. Letztgenannter Aspekt wird verkörpert in der Rolle des „Julius Kayser“ (Justus Paris), des nicht konvertierten Bruders des Kolonialdirektors. Es ist anzunehmen, dass mit dieser Figur der ansonsten kaum bekannte, aus einer jüdischen Familie stammende, aber konfessionslose Kaufmann und Journalist Max Kayser (1853-1888) gemeint sein soll, der für die sächsischen Sozialdemokraten von 1878 bis 1887 im Reichstag saß und unter den Repressionen des Sozialistengesetzes stark zu leiden hatte. Als Gegenspieler von Carl Peters spielte dieser angebliche Bruder des Kolonialbeamten allerdings keine Rolle, nicht zuletzt, da er zum Zeitpunkt des „Fall Peters“ bereits verstorben war.15

Das Drehbuch orientiert sich offensichtlich an Peters’ autobiographischen Veröffentlichungen. Diese wurden noch vor Kriegsende von dem nationalsozialistischen Historiker Walter Frank mit Unterstützung dessen Reichsinstituts für die Geschichte des neuen Deutschland neu herausgegeben.16 Diese einseitige Quellengrundlage, die auch nicht mehr dem Stand der damaligen Literatur entsprach, lässt sich zum Teil in einzelnen Filmdialogen nachvollziehen. Die Filmemacher folgten somit kritiklos und apologetisch der Selbststilisierung eines gewalttätigen ‚alldeutschen Herrenmenschen’. Diese Selbststilisierung erhielt eine Neubewertung im Sinne des „Dritten Reiches“, die aber in klarer Kontinuität zu einem Gedankengut und Weltbild steht, das Peters bereits Jahrzehnte vor Entstehung des Nationalsozialismus verfochten hatte.

Als der Film im Frühjahr 1941 in die Kinos kam, war in einer wohlwollenden Rezension einer Berliner Lokalzeitung von „kleinen Korrekturen an dem geschichtlichen Ablauf der Dinge“ die Rede. Im Hinblick darauf solle man aber „nicht überängstlich sein und sich als Geschichtsprofessor aufspielen“.17 In der Tat sind einige historische Tatsachen im Film grob verfälscht worden – und das nicht nur aus dramaturgischen Gründen. So wurde die beim Publikum wohl teilweise noch präsente Tatsache, dass Peters 1891 eigenmächtig „zwei Neger aufhängen“ ließ, als unmittelbare Reaktion auf die Ermordung seines Freundes Carl Jühlke (Karl Dannemann) im Somaliland dargestellt, die sich allerdings schon 1886 ereignet hatte. Ansonsten findet sich keine Andeutung über gewaltsames Vorgehen gegenüber Afrikanern – im Gegenteil, Peters befreit die „armen Teufel“ aus der Hand brutaler arabischer Sklavenhändler. Über die diversen Liebschaften Peters’ – dazu zählte neben afrikanischen Konkubinen auch eine adelige Vertreterin der deutsch-kolonialen Frauenbewegung – schweigt sich der Film ebenso aus; die einzige Frau im Leben Carl Peters’ scheint seine treusorglich-naive Mutter Elise Peters (Toni von Bukovics) gewesen zu sein. Diese begleitet ihren Sohn auch bis zur Schlussszene vor der Berliner Siegessäule, nachdem all seine Versuche gescheitert sind, die Abgeordneten des Reichstags, dargestellt als eine tobende und krakeelende Allianz von Spießern, Bürokraten, Juden und Sozialisten, von seinen Kolonialplänen zu überzeugen.

Mit Hilfe zahlreicher Komparsen versucht der Film ein „authentisches“ – und dabei kaum ein Klischee beiseite lassendes – Bild von Afrika zu erzeugen. Die Darstellung der Afrikaner ist die von primitiven Halbwilden, die viel harmloser sind als erwartet, und die den Schutz eines deutschen Herrenmenschen brauchen. Als boshaft, faul oder verlogen – wie in so vielen kolonialen Stereotypisierungen – werden sie jedoch nicht dargestellt; schließlich diente der Mythos einer wohlwollenden und humanen deutschen Kolonialherrschaft als Agitationsmittel gegen die „koloniale Schuldlüge“ des Versailler Vertrags und als Rechtfertigung für koloniale Revisionsforderungen.

Noch in der NS-Zeit setzte sich im Übrigen das Auswärtige Amt immer wieder für die wenigen ehemaligen „Schutzbefohlenen“ aus den deutschen Kolonien ein, die in Deutschland lebten und von denen nicht wenige beim Film beschäftigt waren. Eine gezielte Vernichtungspolitik wie gegenüber den (weißen) Juden war nicht intendiert. Und dennoch wurden auch Afrikaner in deutschen Konzentrationslagern ermordet, was unter anderen das Schicksal von Mohammed Husen, eigentlich Mahjub bin Adam Mohamed (1904-1944) zeigt, der im Film den einzigen deutschsprechenden Afrikaner verkörperte, den Diener und Dolmetscher Ramasan. Husen, der noch als Kind als Signalschüler in der ostafrikanischen Schutztruppe unter Lettow-Vorbeck gedient hatte, lebte seit Ende der zwanziger Jahre in Deutschland, wo er als Kellner, Schauspieler und Sprachlehrer für Suaheli seinen Lebensunterhalt verdiente. Der mit einer Sudetendeutschen verheiratete Husen begann ein außereheliches Verhältnis mit einer Münchner BDM-Maid, die er wohl bei den Dreharbeiten zu „Carl Peters“ kennen gelernt hatte. Mit dem Vorwurf der „Rassenschande“ behaftet, wurde er ohne formelles Anklageverfahren im Konzentrationslager Sachsenhausen in „Schutzhaft“ genommen. Dort starb er drei Jahre später unter nicht näher geklärten Umständen (vgl. den „Stolperstein“ für Mohammed Husen).


Halbherzige Propaganda?

Offen muss die Frage bleiben, ob „Carl Peters“ deswegen wenig Erfolg hatte, weil die Propaganda zu platt war; weil es Hans Albers in seiner herausragenden, in seinem Gestus, etwa bei seiner Rechtfertigungsrede vor dem Reichstag, streckenweise an den „Führer“ selbst erinnernden Rolle als Peters mit keinem ernstzunehmenden Widerpart aufnehmen musste. Mag er für manchen Zuschauer vielleicht gar wie eine Karikatur auf Hitler gewirkt haben? Propagandaminister Joseph Goebbels zeigte sich trotz hoher Erwartungen mit dem Endergebnis nicht zufrieden und schrieb in sein Tagebuch: „Der Film ist nicht gemeistert. Zuviel Leitartikel und zu wenig Handlung. Die Tendenz ist zu dick aufgetragen, die Passagen gegen das damalige Regime zünden nicht. Ich bin sehr unbefriedigt davon.“18 Verwundern muss, dass der biographische Hintergrund des Hauptdarstellers Albers wie auch des Regisseurs Selpin und des Drehbuchautors von Salomon nicht unbedingt einen antibritischen und antisemitischen Film hätten erwarten lassen. Sowohl Albers als auch Salomon waren mit einer jüdischen Frau liiert. Selpin galt im Nationalsozialismus lange Zeit als zu britenfreundlich: In seinem Film „Die Reiter von Deutsch-Ostafrika“ wurde noch die Freundschaft zwischen einem deutschen und einem britischen Farmer während des Ersten Weltkriegs beschworen; in „Carl Peters“ hingegen versuchen die britischen Diplomaten immer wieder, die deutschen Kolonialpläne zu vereiteln und Peters entweder zu einem „richtigen Engländer“ zu machen oder durch ein Mordkomplott beiseite zu räumen.

Mehr als halbherzig waren freilich die nationalsozialistischen Bestrebungen, ein neues afrikanisches Kolonialreich zu erobern. Für Hitler standen sie auf der Agenda immer sehr weit hinter dem „Lebensraum im Osten“, und Anfang 1943 ließ er im Zeichen des immer „totaler“ werdenden Krieges anordnen, alle kolonialpolitischen Propagandaaktivitäten „völlig stillzulegen“.19 Der Film „Carl Peters“ ist somit auch ein Dokument der letzten Phase eines ernstzunehmenden deutschen Kolonialrevisionismus.

Man könnte nun spekulieren, ob die Filmschaffenden Salomon, Selpin und Albers diesen Propagandafilm vielleicht nicht aus vollster Überzeugung für den Führerstaat produzierten, ob er vielleicht auch deswegen mit einem handwerklich besseren und ungleich raffinierteren Machwerk wie „Jud Süß“ in keiner Weise mithalten konnte. Im Falle von Albers lässt sich diese Vermutung widerlegen. Denn der Publikumsliebling, der sich über mangelnde Angebote nicht beklagen konnte, hatte sich selbst um die Rolle bemüht, nachdem der ursprünglich dafür vorgesehene Schauspieler abgesprungen war. Man habe „Albers selten so begeistert von einem Projekt gesehen“, berichtete der Produktionschef der Bavaria-Filmkunst.20 Ein Grund hierfür mag gewesen sein, dass Albers schon seit Jahren einen historischen Helden spielen wollte. Es passt durchaus zur Persönlichkeit von Hans Albers, dass er, der „unpolitische“ Filmstar, einerseits die NSDAP-Größen verachtete, mit ihnen mitunter respektlos umging und im Kollegenkreis regimekritische Witze erzählte, und dass er sich andererseits – gerade aus seiner „unpolitischen“ Haltung heraus – gerne vor den Karren der Propaganda spannen ließ, wenn er dadurch nur seine Wunschrolle bekam und entsprechend gut bezahlt wurde.

Der Regisseur Herbert Selpin wurde ebenso wie der Schauspieler Mohammed Husen schon bald nach der Fertigstellung des Films ein Opfer des Regimes, dem er gedient hatte. Bei Dreharbeiten zu dem Film „Titanic“ 1942 kam es zum Streit mit einem Drehbuchautor, der im Übrigen auch bereits bei „Carl Peters“ mitgewirkt hatte. Nachdem sich Selpin im Zorn über die „Scheißwehrmacht“ ausgelassen hatte21 und dies an Goebbels gemeldet worden war, wurde er inhaftiert und bald darauf tot in seiner Zelle aufgefunden – angeblich hatte er Selbstmord begangen. Albers hätte sich eine derartige Entgleisung durchaus erlauben können. Schließlich war das Propagandaministerium auf beliebte Gesichter wie ihn, Theo Lingen oder Heinz Rühmann angewiesen; bei ihnen konnte man hinsichtlich unangepassten Verhaltens oder einer „nichtarischen“ Lebenspartnerin (wie im Fall aller drei Genannten) durchaus ein Auge zudrücken. Einen kaum bekannten und problemlos ersetzbaren Regisseur aus dem Verkehr zu ziehen, stellte für die Machthaber des „Dritten Reiches“ hingegen kein Problem dar.

„Carl Peters“ erzählt von einem gescheiterten Helden, dessen Tragik darin besteht, dass er sich allen Widrigkeiten zum Trotz in Afrika aufgrund seiner Cleverness, Entschlossenheit und Unerschrockenheit behaupten kann, dann aber von seinen eigenen deutschen Landsleuten, die an den Schaltstellen der Macht sitzen, mit Undank empfangen und verstoßen wird. Als Zeichen der Hoffnung erscheint im Abspann der Kilimandscharo – Symbol für ein Afrika unter deutscher Herrschaft, das über Peters’ Scheitern hinaus Bestand haben sollte und das es nun zurück zu gewinnen galt. Der Film konstruiert gleichsam eine „koloniale Dolchstoßlegende“ und fügt sich damit in die vielfältigen revisionistischen Diskurse seit Ende des Ersten Weltkriegs ein. Er verrät dem kritischen Zuschauer somit mehr über seine Entstehungszeit als über die Umstände der deutschen Kolonialerwerbungen.




Literaturhinweise zu Carl Peters und Deutsch-Ostafrika

  • Horst GRÜNDER, Geschichte der deutschen Kolonien, Paderborn u.a. 52004.
  • Hermann KRÄTSCHELL, Carl Peters 1856-1918. Ein Beitrag zur Publizistik des imperialistischen Nationalismus in Deutschland, Phil. Diss, Berlin-Dahlem, Freie Universität 1959.
  • Fritz Ferdinand MÜLLER, Deutschland – Zanzibar – Ostafrika. Geschichte einer deutschen Kolonialeroberung 1884-1890, Berlin (Ost) 1959.
  • Arne PERRAS, Carl Peters and German Imperialism 1856-1918. A Political Biography, Oxford 2004.
  • Carl PETERS, Gesammelte Schriften (3 Bde.), hrsg. von Walter Frank, München und Berlin 1943/44.
  • Heinrich SCHNEE, Als letzter Gouverneur in Deutsch-Ostafrika. Erinnerungen, Heidelberg 1964.
  • Heinz SCHNEPPEN, Der Fall Peters: Ein Kolonialbeamter vor Gericht, in: Zeitschrift für Geschichtswissenschaft 49 (2001), S. 869-885.
  • Hans Traugott SCHORN, Dr. Carl Peters. Ein Lebensbild, Großenwörden bei Hamburg [1920].
  • Winfried SPEITKAMP, Totengedenken als Berlin-Kritik. Der Kult um die Kolonialpioniere, in: Ulrich van der Heyden und Joachim Zeller (Hgg.), „… Macht und Anteil an der Weltherrschaft“. Berlin und der deutsche Kolonialismus, Münster 2005, S. 163-170.
  • Winfried SPEITKAMP, Der Totenkult um die Kolonialheroen des Deutschen Kaiserreichs, in: zeitenblicke 3 (2004), Nr. 1 [09.06.2004].
  • Hans-Ulrich WEHLER, Bismarck und der Imperialismus, Köln 31972.
  • Joachim ZELLER, Kolonialdenkmäler und Geschichtsbewusstsein. Eine Untersuchung der kolonialdeutschen Erinnerungskultur, Frankfurt a. M. 2000.

Literaturhinweise zum Film

  • Gerd ALBRECHT, Nationalsozialistische Filmpolitik. Eine soziologische Untersuchung über die Spielfilme des Dritten Reichs, Stuttgart 1969.
  • Marianne BECHHAUS-GERST, Afrikaner in Deutschland 1933-1945, in: 1999. Zeitschrift für Sozialgeschichte des 20. und 21. Jahrhunderts 12 (1997) Heft 4, S. 10-31.
  • Marianne BECHHAUS-GERST, Treu bis in den Tod. Von Deutsch-Ostafrika nach Sachsenhausen – Eine Lebensgeschichte, Berlin 2007.
  • Brogusław DREWNIAK, Der deutsche Film 1938-1945. Ein Gesamtüberblick, Düsseldorf 1987.
  • Rolf GIESEN und Manfred HOBSCH, Hitlerjunge Quex, Jud Süss und Kolberg. Die Propagandafilme des Dritten Reiches. Dokumente und Materialien zum NS-Film, Berlin 2005.
  • Rolf GIESEN, Nazi Propaganda Films. A History and Filmography, Jefferson (NC) und London 2003.
  • Sabine HAKE, Mapping the Native Body: On Africa and the Colonial Film in the Third Reich, in: Sara Friedrichsmeyer, Sara Lennox und Susanne Zantop (Hgg.), The Imperialist Imagination. German Colonialism and its Legacy, Ann Arbor 1998, S. 163-187.
  • Dorothea HOLLSTEIN, Antisemitische Filmpropaganda. Die Darstellung des Juden im nationalsozialistischen Spielfilm (Kommunikation und Politik Bd. 1), München-Pullach und Berlin 1971 .
  • Ulrich J. KLAUS, Deutsche Tonfilme. Filmlexikon der abendfüllenden deutschen und deutschsprachigen Tonfilme nach ihren deutschen Uraufführungen, Bd. 11 (Jahrgang 1940/41), Berlin und Berchtesgaden 2000.
  • Michaela KRÜTZEN, Hans Albers. Eine deutsche Karriere, Weinheim und Berlin 1995.
  • Peter MARTIN und Christine ALONZO (Hg.), Zwischen Charleston und Stechschritt. Schwarze im Nationalsozialismus, Hamburg und München 2004.


Anmerkungen

1 Herbert von Bismarck an Bennigsen, 29.12.1888, zit. nach: Fritz Ferdinand Müller, Deutschland – Zanzibar – Ostafrika. Geschichte einer deutschen Kolonialeroberung 1884-1890, Berlin (Ost) 1959, S. 420.
2 Arne Perras, Carl Peters and German Imperialism 1856-1918. A Political Biography, Oxford 2004, S. 238 f.
3 Zit. nach: Brogusław Drewniak, Der deutsche Film 1938-1945. Ein Gesamtüberblick, Düsseldorf 1987, S. 299.
4 Zit. nach: Eckhard Groth, Galgen am Kilimandscharo. Das schmähliche Ende eines deutschen Nationalhelden, in: Die Zeit 20.1.1989.
5 Heinrich Schnee, Als letzter Gouverneur in Deutsch-Ostafrika. Erinnerungen, Heidelberg 1964, S. 70.
6 Hans-Ulrich Wehler, Bismarck und der Imperialismus, Köln 31972, S. 338.
7 Die Gartenlaube 1918, S. 521 f., zit. nach: Winfried Speitkamp, Totengedenken als Berlin-Kritik. Der Kult um die Kolonialpioniere, in: Ulrich van der Heyden und Joachim Zeller (Hgg.), „… Macht und Anteil an der Weltherrschaft“. Berlin und der deutsche Kolonialismus, Münster 2005, S. 163-170, hier S. 166 f.
8 Hans Traugott Schorn, Dr. Carl Peters. Ein Lebensbild, Großenwörden bei Hamburg [1920], S. 92.
9 Zit. nach: Müller, Deutschland – Zanzibar – Ostafrika, S. 98.
10 Carl Peters, Lebenserinnerungen (1918), in: Ders., Gesammelte Schriften (3 Bde.), hrsg. von Walter Frank, München und Berlin 1943/44, Bd. 1, S. 13-116, hier S. 50 f.
11 Zit. nach: Wehler, Bismarck, S. 342.
12 Carl Peters an seine Schwester Elli, zit. nach: Wehler, Bismarck, S. 337 f.
13 Zit. nach: Wehler, Bismarck, S. 338.
14 Zit. nach: Rolf Giesen und Manfred Hobsch, Hitlerjunge Quex, Jud Süss und Kolberg. Die Propagandafilme des Dritten Reiches. Dokumente und Materialien zum NS-Film, Berlin 2005, S. 305.
15 Das tatsächliche Verwandtschaftsverhältnis zwischen Paul und Max Kayser konnte bislang vom Verfasser trotz eingehender Recherchen nicht geklärt werden. Lediglich in einem antisemitischen Personenlexikon wird die Behauptung aufgestellt, dass die beiden Brüder gewesen seien: Sigilla Veri (Ph. Stauff’s Semi-Kürschner). Lexikon der Juden, -Genossen und -Gegner aller Zeiten und Zonen, insbesondere Deutschlands, der Lehren, Gebräuche, Kunstgriffe und Statistiken der Juden sowie ihrer Gaunersprache, Trugnamen, Geheimbünde, Bd. 3, 21929, S. 486 f.
16 Carl Peters, Gesammelte Schriften (3 Bde.), hrsg. von Walter Frank, München und Berlin 1943/44
17 Steglitzer Anzeiger 30.5.1941, zit. nach: Dorothea Hollstein, Antisemitische Filmpropaganda. Die Darstellung des Juden im nationalsozialistischen Spielfilm (Kommunikation und Politik Bd. 1), München-Pullach und Berlin 1971, S. 128.
18 Joseph Goebbels, Die Tagebücher, hrsg. von Elke Fröhlich, Teil 1, Bd. 9: Dezember 1940 – Juli 1941, München 1998, S. 188 (15.3.1941).
19 Bormann an Epp, 26.1.1943, zit. nach: Horst Gründer, Geschichte der deutschen Kolonien, Paderborn u.a. 52004, S. 231. Das Kolonialpolitische Amt der NSDAP teilte damit das Schicksal einer Reihe weiterer NS-Organisationen der zweiten Reihe, etwa des NS-Lehrerbundes.
20 Telefonnotiz Hans Schweikart, 5.7.1940, zit. nach: Gerd Albrecht, Nationalsozialistische Filmpolitik. Eine soziologische Untersuchung über die Spielfilme des Dritten Reichs, Stuttgart 1969, S. 210.
21 Zit. nach: Rolf Giesen, Nazi Propaganda Films. A History and Filmography, Jefferson (NC) und London 2003, S. 107.



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