Sonntag, 8. Juni 2008

Segnungen und Gefährdungen moderner Technologie

Ein Beitrag von Dr. Andreas Zellhuber, Augsburg

Forbidden Planet (1956)


„Forbidden Planet“, im deutschen Verleih „Alarm im Weltall“ betitelt, ist ein US-amerikanischer Science-Fiction-Film aus dem Jahre 1956, der im späten 23. Jahrhundert auf dem weit entfernten Planeten Altair 4 spielt.1
Auf der Suche nach verschollenen Kolonisten landet das Raumschiff von Commander Adams auf einer fremdartigen, exotischen Welt, wo die Besatzung schon bald dem mysteriösen Wissenschaftler Dr. Morbius, dessen ebenso bezaubernder wie unbedarfter Tochter Altaira sowie dem Faktotum Robby, the Robot begegnet. Während sich zwischen Commander Adams und Altaira eine Romanze entspannt, offenbart Morbius – wenn auch widerstrebend – das Geheimnis, das er auf Altair entdeckt hat: vor mehreren hunderttausend Jahren war der Planet Heimat der technisch weit überlegenen Rasse der Krell. Hinterlassenschaften in Form gewaltiger Bibliotheken, Maschinenhallen und Kraftwerke durchziehen das Innere des Planeten. Dr. Morbius ist es gelungen, sich Teile des umfassenden Wissens der Krell anzueignen und einige ihrer Maschinen zu bedienen. Herzstück der Krell-Technologie ist indes ein Supercomputer, das ID, das in der Lage ist, Gedanken und Wünsche, aber auch sublime Gefühle und Triebe in jedweder Form auf jedem Punkt des Planeten physisch zu manifestieren. Noch während der Wissenschaftler dem erstaunten Raumschiffkommandanten die geheimnisvollen Artefakte der untergegangenen Zivilisation vorführt, kommt es zu einem Angriff auf Schiff und Besatzung durch einen unsichtbaren Gegner. Es zeigt sich: die gestaltlose Kreatur wurde als Ausdruck der Empfindungen Dr. Morbius’ durch das ID generiert …
Es stellt sich zunächst die Frage: was hat eine solche Handlung, was hat ein solches fantastisches Setting, in Raum und Zeit von der irdischen Vergangenheit durch Jahrhunderte und Lichtjahre getrennt, mit Geschichte zu tun? Was hat ein Film, der von der Kritik mitunter als „naives“ Weltraummärchen2, als „altmodisches SF-Abenteuer“3 verspottet wurde, in einer historischen Lehrveranstaltung zu suchen?


Zunächst gibt es eine einfache, offensichtliche Antwort auf diese Frage: der Streifen aus dem Jahre 1956 besitzt allein durch sein Alter eine gewisse Historizität. Glücklicherweise wurde die Reihe, in der „Forbidden Planet“ jetzt gezeigt wird, „FilmGeschichte(n)“ – mit großem G und Klammer – getauft, so dass nicht nur Historienfilme hier eine Berechtigung haben, sondern auch solche, die Filmhistorie geschrieben haben. Das hat „Forbidden Planet“ auf vielfältige Weise.
Zum einen wäre da die Bildsprache des Films. Auch wenn das Raumschiff des Commander Adams nach über fünf Jahrzehnten etwas angestaubt daher kommt, auch wenn Robby, the Robot heute eher den Eindruck eines überdimensionierten Spielzeugs denn einer ausgereiften Künstlichen Intelligenz erweckt und die Kulissen einer fremdartigen Landschaft ihre Pappmaché-Herkunft nicht ganz vergessen machen können4: die Machart des Sets, seine Detailverliebtheit und Durchdachtheit, seine beeindruckende Größe und nicht zuletzt seine farbliche Brillanz (gedreht wurde mit Eastman Color im Cinemascope-Verfahren) war, verglichen mit den Billig-Produktionen des Genres in dieser Zeit, revolutionär. Und teuer, immerhin verschlang die Produktion damals knapp fünf Million Dollar und trug nicht unwesentlich dazu bei, dass dem Film trotz annehmbarer Besucherzahlen kein großer finanzieller Erfolg beschert war.5
Revolutionär war seinerzeit auch die Tricktechnik, die noch im Erscheinungsjahr zu einer Oscarnominierung in der Kategorie „Beste Spezialeffekte“ führte. Lebensgroße Modelle, exotische Bühnenbilder, optische und perspektivische Kniffe in den gigantischen Maschinenhallen der Krell sowie seinerzeit spektakuläre Licht- und Toneffekte wurden stilbildend. Sie schufen Maßstäbe, an denen sich die Filme des Genres in Zukunft messen lassen mussten. Und wenn der unsichtbare Unruhestifter seine Spuren im staubigen Boden Altairs hinterlässt, muss man auch nach über fünfzig Jahren noch der Tricktechnik des Films Respekt zollen.
Im übrigen war die Gestaltlosigkeit des Angreifers selbst wiederum ein geniales filmisches Mittel: so steigerte man die Fremdartigkeit des Wesens, regte die Imagination des Zuschauers an und verhinderte ganz nebenbei, dass sich der extraterrestrische Übeltäter nach wenigen Jahren in jenem Gruselkabinett der skurrilen Abstrusitäten wieder fand, in den etwa die riesige Rübe aus „Das Ding aus einer anderen Welt“ oder der überdimensionierte Wackelpudding aus dem Film „Blob – Schrecken ohne Namen“ Eingang fanden. Erschreckend ist an diesen Monstern heute allenfalls noch ihr lächerliches Design. Die genannten Filme stammen im übrigen ebenfalls aus den fünfziger Jahren, waren aber in ihrer Inszenierung des extraterrestrischen Horrors sehr viel konventioneller, trivialer, da sie das Außerirdische in irdische Bezüge setzten und so begreiflich, bekämpfbar und letztlich besiegbar machten.

Dass die Macher des Films – für die Regie zeichnete Fred M. Wilcox verantwortlich, die Produktion lag in Händen der Metro-Goldwyn-Mayer – selbst explizit Anspruch erhoben, für „Forbidden Planet“ zukunftsweisende Techniken einzusetzen, erwies sich insbesondere auch an der Filmmusik. Das Produktionsstudio engagierte niemand geringeren als das Ehepaar Louis und Bebe Barron, die als Pioniere der elektronischen Musik galten. Lange vor der Erfindung von Samplern und Synthesizern entwickelten sie elektronische Schaltkreise, mit denen Töne erzeugt werden konnten, und verfremdeten die so entstandenen Klänge weiter, etwa durch die Variation der Abspielgeschwindigkeit oder durch Echo- und Nachhalleffekte. Die Komposition der so erzeugten Klangsequenzen ergab in Kombination mit der Vertonung der Special Effects die erste elektronische Filmmusik der Geschichte und verlieh durch dieses bislang ungehörte Klangerlebnis der visuellen Fremdartigkeit von Altair eine zusätzliche akustische Dimension.6
Auch nach Jahrzehnten klingt die Musik der Barrons noch immer – im wahrsten Sinne des Wortes – „außerirdisch“ und hat erst im Herbst letzten Jahres die NASA dazu veranlasst, die akustischen Schwingungen der Ringe des Saturn, die während einer Erkundungsmission durch die Raumsonde Cassini aufgenommen wurden, besagter Filmmusik gegenüberzustellen. In anderen Worten: der Saturn klingt in etwa so wie der verbotene Planet.7
Mit dieser Art Filmmusik war „Forbidden Planet“ seiner Zeit tatsächlich weit voraus. Wie weit, veranschaulicht eine Anekdote aus dem Entstehungsjahr. Die von Kritikern und Publikum begeistert aufgenommene und gefeierte Musik wäre ebenfalls ein aussichtsreicher Kandidat für einen Oscar geworden, konnte aber auf Druck der Filmmusiker-Gewerkschaft Hollywoods nicht nominiert werden. Die Begründung lautete schlicht: es handele sich nur um elektronische Klänge, nicht aber um Musik! Dieses Verdikt hinderte die Kollegenschaft freilich nicht daran, diesen Musikstil in den folgenden Jahren fleißig zu plagiieren.

Um also ein erstes Fazit zu ziehen: Der Streifen „Forbidden Planet“ besitzt eine audiovisuelle Relevanz für die Geschichte des fantastischen Genres und wirkte prägend auf kommende Generationen von Filmemachern. So spielte etwa Robby, the Robot die Hauptrolle in dem Film „The Invisible Boy“ und hatte Auftritte in dutzenden weiteren Film- und Fernsehproduktionen. Gleiches gilt für den Raumkreuzer, im übrigen die erste von Menschen gesteuerte fliegende Untertasse der Filmgeschichte, zuvor reiste man in Raketen durch das Weltall. Gene Roddenberry, Produzent zahlreicher Fernsehserien wie „Raumschiff Enterprise“ und „Andromeda“, gab „Forbidden Planet“ als eine seiner wichtigsten Inspirationsquellen an, und es verwundert nicht, dass der Streifen manchen auf Grund seines Settings, seiner Story und der multinationalen Besatzung des Raumschiffs der „Vereinten Planeten“ als erster Film der Star-Trek-Reihe gilt.
Zahlreiche Anleihen nahm auch die kommerziell erfolgreichste Filmreihe des Genres, Star Wars, etwa mit seinen episch-historischen Eröffnungssequenzen8 und der Megaarchitektur des Todessterns. Nicht nur referentiell, sondern geradezu als Hommage wirkt daher der Gastauftritt von Robby, the Robot in Star Wars, Episode 1, „Die dunkle Bedrohung“, wo das altertümliche Relikt aus den fünfziger Jahre etwas angestaubt in der Ecke des Schrottwarenhändlers Watto steht, quasi sinnbildlich als Urahn aller nachfolgenden filmischen Androidengenerationen.9 Mit seiner Bildsprache und seiner Akustik fand „Forbidden Planet“, im Titellied der Rocky Horror Picture Show geradezu als archetypisch für das Genre besungen, so letztlich Eingang in das (pop-)kulturelle Gedächtnis insbesondere des anglo-amerikanischen Sprachraums, vielleicht des gesamten Westens.

Doch mit dieser ersten filmtechnischen und filmhistorischen Analyse hat es noch nicht sein bewenden. Denn die Relevanz von „Forbidden Planet“ erschöpft sich nicht allein in seiner Bedeutung für die Geschichte des Genres. Auch auf einer inhaltlichen, gleichsam ikonographischen Ebene vermag der Film eine dezidierte Historizität aufzuweisen.
In ihrem vielbeachteten Essay „The Imagination of Disaster“ aus dem Jahre 1961 hatte die amerikanische Medienwissenschaftlerin Susan Sontag (Homepage) darauf hingewiesen, dass sich das fantastische Katastrophenkino der fünfziger Jahre durch eine Auseinandersetzung mit dem Kalten Krieg in zwei Hauptmotiven auszeichnete: der angeblich bevorstehenden Invasion der Vereinigten Staaten durch die Rote Armee sowie der Bedrohung durch Nuklearwaffen.10 Die Parallelen sind hier leicht zu ziehen: der Gedanke einer sowjetischen Invasion der USA bzw. einer kommunistischen Unterwanderung ihrer Gesellschaft fand sein Pendant im wiederholt inszenierten Angriff feindlich gesinnter Außerirdischer, der auch, wie in dem Film „Invasion of the Body Snatchers“ (1956), ein Eindringen in die Körper und Seelen friedliebender, rechtschaffener Amerikaner sein konnte – die Infiltrationsparanoia der McCarthy-Ära lässt hier grüßen. Und die – im wahrsten Sinne des Wortes – monströse Gefahr, die vom radioaktiven Fall-out eines Atomwaffenschlages ausging, zeigte sich in den Mutationen von übergroßen, riesenhaften Insekten, die in den fünfziger Jahren zuhauf die amerikanischen Bildschirme bevölkerten.11
Wenn auch das erstgenannte Motiv einer Invasion in „Forbidden Planet“ keine Rolle spielt – im Gegenteil, im 23. Jahrhundert ist der Kalte Krieg längst Geschichte und die Besatzung des Raumschiffs der „Vereinten Planeten“ besteht auch aus Russen –, so erweist sich der zweite Aspekt, die Auseinandersetzung mit den Möglichkeiten und Gefährdungen, mit den Segnungen und Problemen neuartiger, potentiell weltzerstörender Technologien, bei genauerer Analyse als die zentrale Thematik des Films.12 Zwar ist der Topos der Konfrontation des Menschen mit einer fortschrittlichen Technik, die ihn seiner ursprünglichen Natur entfremdet und schließlich in seiner Existenz bedroht, sehr viel älter, reicht möglicherweise zurück bis in mythologische Vorzeit – erinnert sei hier an die Prometheus-Sage und die Büchse der Pandora –, er erfährt aber durch die Segnungen und durch das latente Bedrohungspotenzial des atomaren Zeitalters gerade in den fünfziger Jahren eine neue, zeitspezifische Aktualisierung.13 Deutliche Anklänge an das Atomzeitalter sind auch in „Forbidden Planet“ allgegenwärtig: während etwa an Bord des Raumschiffes Atomphysiker und Quantenmechaniker ihren Dienst schieben, verkündet Dr. Morbius stolz seinen Gästen, tausende thermonuklearer Reaktoren hielten die Maschinen der Krell, sich selbst wartend, seit undenklichen Zeiten am Laufen.

Die fremdartige Technologie, mit der sich die Mannschaft um Commander Adams auf Altair konfrontiert sieht, offenbart sich, wie bereits angedeutet, als ambivalent und begegnet in zwei Varianten: in einer harmlosen, durchaus segensreichen, wie sie durch Robby, the Robot präsentiert wird. Liebenswürdig und stets hilfsbereit wurde er einst durch Dr. Morbius erschaffen und erscheint als ein vermenschlichter Ausdruck moderner Technik.14
Unergründlich, erhaben und Furcht einflößend wirken dagegen die ins Gigantische übersteigerten Maschinenhallen der Krell und die gewaltigen Energiepotentiale ihrer Kraftwerke.15 Längst ihrer ursprünglichen Funktion beraubt, präsentieren sich die befremdlichen Hinterlassenschaften der Außerirdischen als die immanent gefährliche Variante fortgeschrittener Technologie. Dass die Maschinen ihre Schöpfer um Jahrhunderttausende überlebt haben, evoziert außerdem unweigerlich die Frage, ob sie nicht in ursächlichem Zusammenhang mit dem Untergang der Krell stehen. Vor allem die Möglichkeit des ID, nicht nur schöpferisches Potential zu entfalten, sondern auch dumpfe Gefühle wie Hass und Aggression zu manifestieren, verleiht der Ambivalenz der überlegenen Krell-Technologie eine düstere, bedrohliche Dimension.
Subtiler als in den meisten Billigproduktionen seiner Zeit postuliert der Film die soziale Relevanz und Verantwortung naturwissenschaftlicher Forschung und variiert diese Thematik in mehreren geschlossenen Bezugssystemen: in einem alttestamentarischen, in einem griechisch-mythologischen, in einem faustischen und in einem tiefenpsychologischen Motivkreis, die im Folgenden aufgeschlüsselt werden sollen.

1. Der alttestamentarische Motivkreis: Auf biblische Bezüge weist schon der Titel des Films hin. „Forbidden Planet“ gemahnte bereits die Filmkritiker der fünfziger Jahre an die „forbidden fruit“, die „verbotene Frucht“ der Bibel. Da der Arbeitstitel zunächst „Fatal Planet“ hieß, wurde bereits in der Namensgebung bewusst auf das Buch Genesis des Alten Testaments Bezug genommen. Die Eva des Commander Adams (!) ist Altaira, die als personifizierte Unschuld in einem unberührten Paradies zu leben scheint. Auf erotischer Ebene endet die jungfräuliche Keuschheit Altairas mit der Romanze, die sich zwischen ihr und dem Raumschiffkommandanten entspinnt.
Diese Entwicklung findet ihre Parallele im Zugriff Dr. Morbius’ auf das geheime Wissen der Krell, insbesondere auf die perfiden Möglichkeiten des ID, dessen fatale Konsequenzen ihm zunächst nicht bewusst sind. Gegen Ende des Films wird Adams daher dem Wissenschaftler vorwerfen, mit Hilfe der Krell-Technologie Gott herausgefordert zu haben. So spielt das Motiv in oben beschriebenem Kontext darauf an, dass das Pflücken der verbotenen Frucht vom Baum der (wissenschaftlichen) Erkenntnis auch das Ende der Unschuld der Menschheit bedeutet. Der technologische Fortschritt, so die moraltheologische Lehre, bringt das Menschengeschlecht nicht voran, sondern führt es lediglich aus dem Paradies der gottgefälligen Demut heraus.

2. Der griechisch-mythologische Motivkreis: Das Raumfahrzeug, mit dem Dr. Morbius und seine Tochter einst auf Altair strandeten, trug den Namen des antiken Helden „Bellerophon“. Dieser hatte der Sage zufolge seine Hybris in dem Versuch offenbart, mit seinem geflügelten Pferd Pegasos zum Sitz der Götter, auf den Olymp zu gelangen. Ähnlich wie im jüdisch-christlichen Schöpfungsmythos wird auch diese anmaßende Herausforderung der göttlichen Ordnung bestraft. Bellerophon wird von Pegasus abgeworfen und irrt von da an orientierungs- und ruhelos durch die Welt. Eine der Heldentaten des Bellerophon war der Kampf gegen die Chimäre, einem Fabelwesen von vielgestaltiger Natur. Die unsichtbare, trugbildhafte Kreatur, die nun auf Altair die Mannschaft des Raumschiffs in Angst und Schrecken versetzt, trägt deutliche Züge dieser mythologischen Figur. Denn als die Crewmitglieder die Spuren untersuchen, die der den menschlichen Augen verborgene Angreifer in Altairs staubigem Boden hinterlässt, können sie diese keinem bestimmten Wesen zuordnen. Die fremdartige Kreatur erhält so die vielgestaltigen, unwirklichen, eben chimärenhaften Züge ihres mythologischen Vorgängers und wird zur gottgewollten Strafe für die freche Anmaßung der Menschen.
Morbius selbst spielt im übrigen auf eine andere antike griechische Sage, den Perseus-Mythos, an. „Den Gorgonen kann man nicht ins Gesicht blicken“, raunt der Wissenschaftler beim Anblick der thermonuklearen Reaktionen in den Kraftwerken der Krell Commander Adams zu. Und offenbart so, dass er sich des zwiespältigen Charakters der Krell-Technologie und ihrer Gefährdungen für das Wohl und Wehe der Menschen zumindest unterschwellig bewusst ist.

3. Der faustische Motivkreis: Dr. Morbius – schon sein Name gemahnt an den Tod – steht in einer Reihe mit vielen anderen berüchtigten Wissenschaftlern in Geschichte und Literatur. Ob nun die mittelalterlichen Alchemisten mit ihrer von der Kirche misstrauisch beäugten Gratwanderung zwischen Wissenschaft und Magie, prominent geworden in der Person des Doktor Johann Faust, dessen angeblicher Teufelspakt zur Erlangung allumfassenden Wissens über Jahrhunderte Dichter in ganz Europa faszinierte, ob Goethes Zauberlehrling, der die einmal gerufenen Geister nicht mehr los wurde, ob Mary Shelleys Frankenstein (engl.: Frankenstein or The Modern Promotheus), der statt eines Menschen ein Monster erschuf, oder ob H.G. WellsDr. Moreau und die von ihm gezüchteten Hybridwesen aus Mensch und Tier: die Figur des „Mad Scientist“, des verrückten, unberechenbaren, hoch- und übermütigen Wissenschaftlers und Forschers, der Gutes will und Schlechtes tut, ist einer der am häufigsten gebrauchten Moraltopoi der westlichen Kulturgeschichte.
Dieser Topos feierte gerade im Zeitalter der atomaren Bombe fröhliche Urstände. 1962 sucht der Naturwissenschaftler Moebius in Dürrenmatts Stück „Die Physiker“ aus Verantwortung gegenüber seinen Mitmenschen Zuflucht in einem Irrenhaus, 1964 plant Dr. Seltsam in einem Film von Stanley Kubrick, den atomaren Holocaust durch ein Zuchtprogramm zu überleben. Auch hier sind die Anklänge wieder offensichtlich: wie seine historischen und literarischen Vorgänger hat Dr. Morbius mit dem Bau des Androiden Robby einen zeitgemäßen Homunculus erschaffen und sich damit am göttlichen Schöpfungsmonopol versündigt. Die überlegene Technologie der zivilisatorisch weit fortgeschrittenen Krell gibt ihm, dem genialen Wissenschaftler, Möglichkeiten an die Hand, denen er vielleicht intellektuell gewachsen ist, nicht aber moralisch. Seine Unreife und Bedenkenlosigkeit im Umgang mit einem Wissen, das seinen Verstand übersteigt, macht ihn zur faustischen Figur.

4. Der tiefenpsychologische Motivkreis: Auch hier ist die Namensgebung Schlüssel zum Verständnis des Bezugssystems. Der Name des Supercomputers der Krell, der in der Lage ist, Gedanken und Gefühle physisch zu manifestieren, lautet „ID“ und gemahnt einerseits an das englische Akronym für „Identität“, andererseits an das „Es“ (lat.: id), das in der Tiefenpsychologie Sigmund Freuds neben dem „Ich“ und dem „Über-Ich“ einer der drei konstituierenden Elemente des menschlichen Bewusstseins ist. Zuständig für die sublimen, unterbewussten und verdrängten Gefühle und Triebe bricht sich das „Es“ des Dr. Morbius Bahn und bedroht die scheinbar friedliche Idylle auf Altair.16 Die Kreatur, die das ID erzeugt, symbolisiert den Sieg der Emotio über die Ratio: die Kontrolle des „Es“ durch das „Über-Ich“ ist gescheitert. Auch der kühle, dem Verstand verpflichtete Forschergeist des intelligenten, reflektierten Vernunftmenschen ist lediglich Emanation seines tierischen Trägers. Gleiches gilt für die Produkte seiner Forschung: selbst die fortschrittlichste Technologie kann die animalische Biologie ihrer Schöpfer nicht überwinden, da sie letzten Endes ebenfalls Ausdruck dieser Biologie ist.17

Gemeinsam ist den verschiedenen soeben aufgezeigten Interpretamenten die moralische Botschaft, die Commander Adams am Ende des Films noch einmal sehr explizit an Altaira und durch sie stellvertretend an das Publikum richtet: zum verantwortungsvollen, nutzbringenden Umgang mit potentiell weltzerstörenden Technologien gehört eine Ethik, über die die Menschen nicht verfügen und vielleicht – daran gemahnt das Beispiel der weit fortgeschrittenen und doch untergegangenen Krell – niemals verfügen werden. Auf die menschliche Hybris, die Kräfte der Schöpfung beherrschen zu können, folgt unweigerlich die göttliche Nemesis: der Sturz der falschen Götzen und die Vertreibung aus dem Paradies. Name und Schicksal des Planeten verdeutlichen dies: „Al-tair“ stammt wie die meisten Sternbezeichnungen aus dem Arabischen und bedeutet „der Herabstürzende“, und tatsächlich endet der Film mit einem Bild des Planeten, der in neuerlicher Reverenz an das latente Bedrohungspotenzial des Kalten Krieges in einer nuklearen Kettenreaktion zerbirst.18
Darin also, in seiner Relevanz für eine moralische, kulturgeschichtliche Deutung des atomaren Zeitalters, so die These, liegt die eigentliche Bedeutung des Filmes.




Anmerkungen

1 Regie: Fred M. Wilcox, Buch: Cyril Hume (nach einer Story von Irving Block und Allen Adler), Kamera: George Folsey, Spezialeffekte: Arnold Gillespie, Warren Newcombe, Joshua Meador, Schnitt: Ferris Webster, Musik: Louis und Bebe Barron, Darsteller: Leslie Nielsen, Walter Pidgeon, Anne Francis.
2 6000 Filme. Kritische Notizen aus den Kinojahren 1945 bis 1958. Handbuch V der katholischen Filmkritik, 3. Auflage, Düsseldorf 1963, S. 15f.
3 Adolf Heinzlmeier/Berndt Schulz, Alarm im Weltall, in: Lexikon „Filme im Fernsehen“ (Erweiterte Neuausgabe), Hamburg 1990, S. 26.
4 Der sonderbare Umstand, dass vergangene Zukunftsprojektionen stärker als vergangene Gegenwartsdarstellungen altmodisch erscheinen, liegt laut Simon Spiegel, Konstitution des Wunderbaren. Zu einer Poetik des Science-Fiction-Films, Marburg 2007, S. 231, darin begründet, dass sie das zur Entstehungszeit Gegenwärtige überspitzt in die Zukunft fortschreiben müssen. Eine Paradoxie, die im Blick etwa auf prognostizierte Mode besonders plausibel wird.
5 Zahlen bei http://www.imdb.com/title/tt0049223.
6 James Wierzbicki, Louis and Bebe Barron’s Forbidden Planet. A Film Score Guide, Lanham (Maryland) u.a. 2005 (Scarecrow Film Score Guides, Nr. 4).
7 Jens Lubbadeh, Saturn klingt wie Forbiden Planet, in: SPIEGEL online Wissenschaft, 9.11.2007.
8 Die Eröffnungssequenz von „Forbidden Planet“ reiht die Ereignisse des Films in eine zukünftige Geschichte der Eroberung des Weltraums durch die Menschheit ein und generiert so gewissermaßen eine dritte Ebene der Historizität. Im Kino-Trailer des Films rollte die entsprechende Passage als Fließtext über den Bildschirm – ein Stilmittel, das durch „Star Wars“ Kultcharakter erhielt. Zu den historisch-poetologischen Bedingungen der Entwürfe zukünftiger Geschichte im SF-Genre vgl. Michael Salewski, Zeitgeist und Zeitmaschine. Science Fiction und Geschichte, München 1986.
9 Eine weitere selbstreferentielle Anspielung auf die Geschichte des eigenen Genres findet sich auch in der Serie „Deep Space Nine“, wo Schiff und Besatzung in einer Episode auf der Ankunftsliste der Raumstation stehen.
10 Vgl. den Nachdruck Susan Sontag, The Imagination of Disaster, in: Ralph J. Ameilo (Hg.), Hal in the Classroom. Science Fiction Films, Dayton/Ohio 1974, S. 22-38. (Deutsch unter dem Titel: Die Katastrophenphantasie, in: Susan Sontag, Kunst und Antikunst, Reinbek bei Hamburg 1968, S. 232-250).
11 So beispielsweise in „Them!“ (Ameisen; 1954), „Tarantula“ (Spinnen; 1955) oder „The Fly” (Fliege; 1958).
12 Felicitas Kleiner, Alarm im Weltall, in: Thomas Koebner (Hg.), Filmgenres. Science Fiction, S. 105-110, bes. S. 106.
13 Einen breiten Überblick verschafft der von Michael Salewski herausgegebene Sammelband „Das Zeitalter der Bombe. Die Geschichte der atomaren Bedrohung von Hiroshima bis heute“, München 1995. Vgl. dort insbesondere den Aufsatz von Ilona Stölken-Fitschen, Bombe und Kultur, S. 258-281.
14 Vgl. Daniel Dinello, Technophobia! Science Fiction Visions of Posthuman Technology, Austin/Texas 2005, S. 89-91.
15 Zur Funktion sog. „Big Dum Objects“ in SF-Filmen vgl. Spiegel, Konstitution des Wunderbaren, S. 287-289.
16 Dinello, Technophobia!, S. 90.
17 Ebd., S. 90.
18 Vgl. die Untersuchung von Jerome F. Shapiro zur nuklearen Bedrohung als Filmmotiv: Atomic Bomb Cinema. The apocalyptic imagination on film, New York 2002.



3 Kommentare:

Anonym hat gesagt…

Ein sehr starker Artikel. Hat Spass gemacht das zu lesen. :)

Blue Bird hat gesagt…

Eine sehr interessante Analyse! Nur zwei kleinere Korrekturen wären anzumerken.
1) Der Film kostete nicht knappe fünf, sondern nur knappe zwei Millionen Dollar. Das war für damalige Zeiten zwar immer noch enorm viel für einen SF-Film und weit entfernt vom "Low Budget" der meisten Konkurrenten, aber immer noch weniger, als die Studios für einen starbesetzten Big-Budget-Movie der "A"-Klasse ausgaben. Bill Warren, einer der besten Kenner der Fünfzigerjahre-SF-Filme, spricht in seinem Werk "Keep Watching The Skies!" (Jefferson/London 2010), S. 299 von etwa 1,9 Millionen Dollar Produktionskosten, und diese Zahl hat die IMDb inzwischen auch übernommen. Die in der US- und der deutschen Wikipedia genannte Zahl von 4,9 Millionen sieht dagegen verdächtig nach einem simplen Tipp-
oder Lesefehler aus. Nach Warren, ibid. variieren die von MGM und dem Produzenten Nicholas Nayfack veröffentlichten Aussagen über die Einnahmen des Films zwischen 1,5 und 4 Millionen Dollar.
2) Die Krell-Maschine, die Gedanken direkt in Materie umsetzen kann und damit auch das unsichtbare Monster aus Morbius' Unterbewusstsein erschafft, heißt selbst nicht "ID-Maschine". Im Film erhält sie keine Bezeichnung, mit Ausnahme des "plastic educators", das Gerät mit dem Kopfgeschirr, mit dem Morbius eine Projektion Altairas erschafft. Der Begriff "Id" verweist im Film ausschließlich auf das Freudsche Unterbewusstsein bzw. "Es" sowohl der Krell als auch der Menschen.

JFinger hat gesagt…

Vielen Dank für die interessanten und kenntnisreichen Ergänzungen Blue Bird!